Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
freie Sicht auf den Eingang hatte. Als er sie sah, stand er auf. Lächelnd winkte sie ihm zu und durchquerte das Lokal.
„Hi. Tut mir leid, aber ich bin etwas spät dran.“
„Das macht überhaupt nichts.“
Dass er ihr den Stuhl zurückzog, damit sie sich setzen konnte, war für sie eine angenehme Überraschung. „Ich musste noch bei meinem Bruder vorbeifahren und ihn bitten, mich bei Mama zu entschuldigen.“
„Mama?“
„Mittwochs kocht Mama für uns immer Nudeln.“
„Du verzichtest für mich auf das Abendessen mit deiner Familie? Aber du hättest mir doch sagen sollen, dass du schon etwas vorhast.“
Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf. „Glaub mir, die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Sagen wir mal so … der Mittwochabend kann manchmal sehr … anstrengend sein.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, was du damit meinst.“
Seine Antwort kam ihm todernst über die Lippen, dennoch musste M.C. lachen. Sie hatte seinen Auftritt mitbekommen, und sie wusste, dass er sich sogar ganz genau vorstellen konnte, was sie meinte.
„Mein Bruder Michael meinte, ich sollte dich doch mitbringen.“
„Wir könnten uns immer noch auf den Weg machen.“
„Mach lieber nicht solche Vorschläge. Ich würde meinem ärgsten Feind nicht wünschen, dass er meiner Mutter in die Finger gerät.“
„Klingt so, als gäbe es da Stoff für ein Programm, oder?“
„Damit könntest du sogar zwei Programme füllen. Außerdem würde ich Gefahr laufen, dich niemals wiederzusehen. Keiner meiner Freunde hat je ein Abendessen bei meiner Familie lebend überstanden.“
Daraufhin tat Lance so, als würde er auf der Bühne stehen, in der Hand das Mikrofon, den Blick ins Publikum gerichtet. „Gestern Abend habe ich die Familie meiner Freundin kennengelernt. Mein Gott, diese Leute haben wohl das Urheberrecht auf den Begriff der ‚gestörten Familie‘. Mama sieht aus wie ein italienischer Panzer mit Brüsten. Und sie hat nur eine Augenbraue, die aber über beide Augen reicht. Um das Monster zu zupfen, braucht sie gar nicht erst zur Pinzette zu greifen, da hilft nur noch der Rasenmäher. Obwohl … nein, stimmt ja gar nicht. Den braucht sie doch schon für ihren Damenbart!“
„Du musst meiner Mutter begegnet sein“, gab M.C. lachendzurück, als er zu reden aufhörte.
Er grinste sie an. „Ich will unbedingt mehr erfahren, aber besser nach einem Kaffee.“
Gut eine Stunde lang erzählte sie von ihrer Familie, zwischendurch verpackte Lance das Gehörte in einen Monolog, der mal ironisch, mal derb ausfiel. Die ganze Zeit über fiel es M.C. schwer, ernst zu bleiben. Erst als man ihnen sagte, das Café schließe in wenigen Minuten, wurde ihr bewusst, wie lange sie dort gesessen hatten.
Sie standen auf, warfen die leeren Pappbecher in den Abfall und begaben sich zum Ausgang.
Es war ein milder Abend, Wolken verdeckten den Sternenhimmel. Lance begleitete sie bis zu ihrem Wagen.
„Das war sehr schön“, sagte sie, als sie stehen blieben. „Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal so von Herzen gelacht habe.“
„Und ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal jemanden so sehr zum Lachen gebracht habe.“ Er senkte seine Stimme. „Ich wünschte, der Abend wäre noch nicht vorüber.“
„Ich auch.“
„Wenn ich dich jetzt küsse, wirst du dann sofort deine Waffe ziehen?“
„Ich werde die Waffe ziehen, wenn du mich nicht küsst.“
Also beugte er sich vor und gab ihr einen sanften Kuss. Als sich seine Lippen von ihren lösten, bekam M.C. weiche Knie.
„Hast du Hunger?“, wollte er wissen.
Oh Gott, ja! „Ich verhungere.“
„Wir könnten zu meinem Lieblingsdiner gehen. Oder … zu Hause im Kühlschrank habe ich noch fast eine ganze SupremePizza von Mama Riggio’s stehen.“
„Aus dem Restaurant meiner Brüder.“
„Die beste Pizza außerhalb von Chicago.“
Sie zögerte. Sie wusste, was sie hätte tun sollen. Aber das war beileibe nicht das, was sie tun wollte.
„Ich liebe Pizza über alles“, antwortete sie. „Besonders nach Familienrezept.“
34. KAPITEL
Mittwoch, 15. März 2006
21:30 Uhr
Kitt saß allein am Computer. M.C. war vor Stunden gegangen, weil sie ein Date hatte – mit dem „Komiker“, wie sie ihn nannte. Die Schicht hatte um halb sieben geendet, und fast auf die Minute waren ihre Kollegen in den Feierabend gegangen. Es schien so, als habe das Verbrechen in der Stadt eine kurze Verschnaufpause eingelegt.
Sie und M.C. waren fast den ganzen Tag
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