Der Engelspapst
Peter. »
Er musste seinen Gedankengang nicht erklären. Sich an Albert Rosins Bericht erinnernd, sagte Elena leise: «Der Zirkel der Zwölf, der Schwur in jener geheimnisvollen Kapelle unter dem Petersdom. Hat Borghesi die gemeint, als er vom Hort des Bösen sprach?»
« Frag die Katzennärrin! Das hat er gesagt.»
«Ich weiß», seufzte Elena und nickte. «Du hast es mir erzählt.
Wie lauteten seine letzten Worte noch mal genau?»
« Ich habe ihn gesehen, er lebt! »
«Wer?»
«Vielleicht der Engelspapst», antwortete Alexander wenig überzeugt. «Von dem Thema schien er geradezu besessen zu sein.»
«Der Engelspapst.» Sie klang nachdenklich. «Möglicherweise ist er die Verbindung zwischen der Plünderung Roms und den Geschehnissen der letzten Tage. War Clemens VII. am Ende der Engelspapst, der den Kirchenstaat durch die dunklen Tage des Krieges geführt hat?»
«Borghesi hat Custos für den Engelspapst gehalten.»
«Muss das ein Widerspruch sein?», fragte Elena. «Der Begriff Papa Angelicus ist im Laufe der Jahrhunderte auf verschiedene Päpste bezogen worden. Vielleicht erschien Clemens zu seiner Zeit als Retter der Kirche?»
«Das vielleicht, aber wohl kaum als Erneuerer oder gar Reformator des Christentums.» Alexanders Finger strichen über den Ledereinband des alten Buches, als könnte er ihm dadurch sein Geheimnis entlocken. «Ich fürchte, wir wissen zu wenig über die Hintergründe von Albert Rosins Bericht, um ihn richtig zu würdigen. Wir können nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob diese Aufzeichnungen echt sind.»
«Lass uns zurück nach Rom fahren», schlug Elena vor. «Dort gibt es jemanden, der uns weiterhelfen kann.» Sie blickte aufs Wasser hinaus und sagte: «Vielleicht kann wirklich nur der See die Kirche reformieren.»
«Wie meinst du das?»
«Kennst du die Geschichte nicht? An einem schönen Sonntagnachmittag unternahmen sämtliche Kurienkardinäle eine Bootspartie über den Albaner See. Aber das Ausflugsboot kenterte plötzlich, und keiner der geistlichen Würdenträger konnte schwimmen. Wer wurde gerettet?»
«Keine Ahnung», gestand er nach kurzem Überlegen. «Wer?»
«Die Kirche.»
14
Auf der Fahrt zurück nach Rom wechselten sie kaum ein Wort.
Beide hingen ihren Gedanken nach und versuchten, den Bericht Albert Rosins aus dem sechzehnten Jahrhundert mit den aktuellen Geschehnissen in Einklang zu bringen.
Irgendwann, als der Fiat über die Via Appia holperte, setzte leichter Nieselregen ein, der sich verstärkte, je näher sie der Metropole kamen. Die unermüdlich arbeitenden Scheibenwischer verursachten ein regelmäßiges leises Summen und Klacken und verteilten bräunliche Schlieren auf der Windschutzscheibe, die von der Fahrt durch die Baustelle und über unbefestigte Wege verschmutzt war. Die Bäume und Mauern links und rechts der Straße hatten durch die Schlieren etwas Schemenhaftes, Unwirkliches wie Geisterwesen. So wenig greifbar wie der Zusammenhang zwischen dem Sacco di Roma und dem Heute, nach dem Alexander krampfhaft suchte.
In der Stadt lenkte Elena den kleinen Wagen das linke Tiberufer hinauf. Jenseits des Flusses reckten sich die Mauern der Engelsburg ins trübe Grau des Himmels. Hinter den alten Verteidigungswällen erhob sich der mächtige Rundbau mit den von einer Engelsstatue gekrönten Aufbauten. Die Bronzestatue zeigte den Erzengel Michael, wie er sein Schwert in die Scheide steckte. Ein Symbol für den Namen der Festung, der auf Papst Gregor den Großen zurückging. Der hatte im pestgeplagten Jahr 590 die Vision eines Engels gehabt, der über dem Bauwerk erschien und das Ende der tödlichen Seuche ankündigte, indem er das Schwert in die Scheide gleiten ließ. Tatsächlich war Rom am nächsten Tag von der Plage befreit gewesen und seither trug das Gemäuer den Namen Engelsburg.
Vor Alexanders geistigem Auge füllten sich die Türme und Wehrgänge mit Soldaten, Schweizer Guardiknechten und römischen Millionären. Er stellte sich vor, wie sie die Burg mit Schwert und Hellebarde, mit Armbrust und Arkebuse gegen die anstürmenden Landsknechte und Söldner verteidigten. Dabei war das Gebäude ursprünglich gar keine Festung gewesen, sondern ein kaiserliches Mausoleum. Im zweiten Jahrhundert war es unter Kaiser Hadrian begonnen und von Kaiser Septimius Severus vollendet worden. Die Umwidmung zur Festung war in den darauf folgenden Jahrhunderten unter dem Druck der Germaneneinfälle erfolgt. Von der Engelsburg aus ließ sich der nördliche
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