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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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Assunta zum wiederholten Mal:
    «Das hat sie gesagt?»
    Schwester Bianca nickt eifrig: «Ja, ehrwürdige Mutter, genau das waren Schwester Paolinas Worte: Ich haue ab von hier! »
    «Gut gemacht.» In einer nie gesehenen Geste streichelt die Mutter Oberin Biancas Wange, und das Mädchen erschauert.
    «Du wirst ab heute Paolinas Arbeit übernehmen.»
    Paolina steht bitter enttäuscht daneben. Sie fühlt sich gedemütigt. Ihr Plan ist verraten, nur weil sie Schwester Bianca vertraut hat. Und Paolina fragt sich, ob Schwester Elisabetta etwas Ähnliches widerfahren ist.
    Bald treiben scharfe Lederzungen ihr jede Trauer, aber auch jede Reue aus. Diesmal geißelt sie sich nicht selbst. Während sie nackt vor dem hölzernen Kruzifix kniet, stehen hinter ihr zwei Erzieherinnen und schlagen im schnellen Wechsel auf ihren Rücken ein. Mutter Assunta steht starr daneben. Nur die Augen der Oberin sind lebendig, bei jedem Peitschenhieb flackert ein Feuer in ihnen auf. Kein Zweifel, sie genießt das Schauspiel.
    Paolinas Rücken brennt wie mit siedendem Öl übergossen.
    Aber sie beißt die Zähne zusammen, um Wimmern und Schreien zu unterdrücken. Sie will Mutter Assunta keine zusätzliche Befriedigung bereiten. Schlag um Schlag zerfetzt ihr Fleisch, und Paolina murmelt mechanisch: « Totus tuus, Domine. Hic iacet pulvis, cinis et nihil. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. »
    Als Elena mit ihrer Erzählung endete, war Alexander schwindlig. Er wusste nicht, was ihn mehr verstörte: ihr Schicksal oder die Tatsache, dass sie davon sprach, als gehe sie das alles nichts an. Ebenso emotionslos musste die Stimme der Oberin geklungen haben.
    Während ihres Berichts war Elena langsam im Zimmer auf und ab gegangen, das einzige Zeichen innerer Erregung. Schon sehr bald hatte Alexander nicht mehr auf ihre entblößten Brüste gestarrt. Sie war von der begehrenswerten Frau zu einem bemitleidenswerten Geschöpf geworden, dem Waisenkind Paolina. Jede einzelne der zahllosen Narben auf ihrem zerschundenen Rücken erschien ihm wie ein stummer Schrei nach Hilfe. Oder nach Rache.
    Jetzt, als Elena schweigend vor ihm stand, erhob er sich und trat dicht vor sie. Mit langsamen Bewegung zog er das Bustier nach oben, so vorsichtig, als könnte er sie mit jeder Berührung verletzen. Und vielleicht war es so. Der Rücken sah aus, als würde er niemals aufhören zu schmerzen. Für einen Augenblick war er versucht, sie an sich zu ziehen, um ihr Liebe und Wärme zu geben. Doch sie kam ihm so zerbrechlich vor, dass er es sein ließ und sich wieder auf die kleine Couch setzte. Er wollte etwas trinken, aber sein Glas war leer.
    «Was ist geschehen?», fragte er. «Wieso bist du heute Elena Vida?»
    «Ich bin schließlich doch getürmt. Zwei Tage lang haben sie mich ausgepeitscht, morgens, mittags und abends. Ich habe wirklich geglaubt, ich würde es nicht überleben. Sie haben mich in der Bußkapelle eingesperrt, wo ich auf dem blutbesudelten Stein lag und auf sie wartete. In der Nacht nach dem zweiten Tag meiner Bestrafung weckte mich ein Klacken im Türschloss.
    Erst dachte ich, der dritte Tag der Prügelstrafe sei angebrochen, aber es kam niemand herein. Irgendwann habe ich mir ein Herz gefasst und die Tür aufgestoßen. Sie war tatsächlich offen.
    Irgendwer im Heim musste ein schlechtes Gewissen gehabt haben. Vermutlich eine Erzieherin. Von den Mädchen wäre kaum eins an den Kapellenschlüssel gelangt. Wer es war, habe ich nie erfahren. Damals war es mir gleichgültig. Hauptsache, jemand wollte mir die Qualen ersparen oder sich nicht mitschuldig machen, falls ich dabei zugrunde ginge. Ich konnte fliehen, auch das Tor im Gitterzaun war unverschlossen. Es war dunkel und kalt, und die Bergwelt war mir fremd. Ich bin einfach losgelaufen, immer weiter, nur weg von dem Hort zu Gottes großer Gnade.»
    Schwer atmend hielt Elena inne und setzte sich auf den Rand der Couch. Sie wirkte erschöpft, als habe sie ihre nächtliche Flucht noch einmal durchlebt.
    Vielleicht hätte Alexander sie in Ruhe lassen sollen. Aber er war von ihrer Erzählung derart in den Bann gezogen, dass er fragte: «Was geschah dann?»
    «Entweder hatte ich einen Schutzengel oder einfach nur Glück. Nach einigen Stunden überholte mich ein Auto, ein Streifenwagen. Erst wollten die Polizisten mir nicht glauben, aber als ich ihnen meinen Rücken zeigte, wurden sie blass. Die Telefondrähte glühten in dieser Nacht und früh am nächsten Morgen fuhr ein ganzer Polizeikonvoi am Waisenhaus

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