Der Engelspapst
fragte er sich, ob Seine Heiligkeit die Halle überhaupt erreichen würde. Wohl nicht, wenn es nach dem Zirkel der Zwölf ging.
Und seine Unruhe wuchs, als er von Guntens verschlossenes Gesicht sah. Der neue Gardekommandant wirkte angespannt wie ein Feldherr am Morgen der Schlacht. Auch die Ehrenwache, mit der von Gunten aufmarschierte, war alarmierend. Laut Dienstplan hätte an diesem Tag das Romandgeschwader die Wache stellen müssen, aber der Oberstleutnant hatte das kurzfristig geändert. Es waren Deutschschweizer, Angehörige der beiden anderen Geschwader, die selbst bei trübem Wetter leuchtende Galauniformen angelegt hatten. Drei Mitglieder des mysteriösen Zirkels waren unter ihnen: Utz Rasser, Walter Stückelberger und Kurt Mäder. Ob die andere Hälfte der Ehrenwache mit dem Zirkel in Verbindung stand oder gar in den Attentatsplan eingeweiht war, blieb Alexander schleierhaft.
Aber er musste damit rechnen. Wenn der Verdacht zutraf, dass der Zirkel der Zwölf und Totus Tuus in irgendeiner Weise miteinander in Verbindung standen, war es nicht unwahrscheinlich, dass weitere Gardisten zu den Verschwörern gehörten. Dann bildete der Zirkel nur die Spitze des Eisbergs.
Eine groteske Vorstellung ergriff von ihm Besitz: Er sah die Ehrenwache auf den Papst zustürzen. Ihre Hellebarden und Schwerter hieben auf den Heiligen Vater ein, bis nur noch blutige Fleischklumpen von ihm übrig waren. – Aber nein, so plump würde der Zirkel nicht vorgehen. Was hatte Riccardo Parada doch bei der unterirdischen Zusammenkunft gesagt: Was liegt näher, als der Welt einen radikal fundamentalistischen Moslem als Papstmörder zu präsentieren?
Alexander zerbrach sich den Kopf, wie der Anschlag ablaufen würde. Er erinnerte sich an den Unterricht bei Stelvio Donati: Die Feinde des Friedens sind von Natur aus gefährlich. Wenn sie sich aber in die Enge gedrängt fühlen, wenn aus Verblendung blinder Hass wird, ist mit dem Undenkbaren zu rechnen. – Die Bombe geht gerade dann hoch, wenn man am wenigsten damit rechnet.
War es im Wortsinn eine Bombe, die Papst Custos beseitigen sollte? Dann würden viele andere mit ihm sterben oder schrecklich verstümmelt werden. Dieser Gedanke war nicht einmal abwegig, der Zirkel der Zwölf schien keine Skrupel zu kennen. Und da die Sicherheitsvorkehrungen für die Audienz Riccardo Parada oblagen, durfte es für die Attentäter keine Schwierigkeit darstellen, an geeigneter Stelle einen Sprengsatz zu platzieren.
Alexander sah zum Sicherheitschef des Vatikans hinüber.
Parada, in einen Trenchcoat mit hochgeschlagenem Kragen gehüllt, sprach angeregt mit von Gunten. Erörterten sie gerade die letzten Details des Anschlags? Es zerrte an Alexanders Nerven, zur Untätigkeit verdammt zu sein. Er hatte einen Eid geschworen, den Papst zu beschützen, und konnte doch nichts tun. Er war beurlaubt, trug nicht die Gardeuniform und fühlte sich ausgeschlossen, verloren. Andererseits konnte er froh sein, dass er dem Zirkel, den Verschwörern und Attentätern, nicht angehörte.
Stimmte das denn? Immer wieder ertappte er sich bei der Vorstellung, wie es wäre, mit seinem Vater Seite an Seite zu stehen. Die Sehnsucht nach dem Vater und der Hass auf den Mann, der ihn verraten und Juliette getötet hatte, stritten erbittert in ihm, wollten ihn schier zerreißen. Ein Gedanke ließ ihm keine Ruhe, drang immer tiefer in ihn wie ein Wurm, der sich in sein Gehirn bohrte: Standen Markus Rosin und der Zirkel der Zwölf womöglich auf der richtigen Seite? War Jean-Pierre Gardien tatsächlich ein Usurpator? War er der Antichrist?
Von Gunten drehte sich um, und ihre Blicke begegneten sich.
Ahnte der Oberstleutnant, dass der Gardist, den er in den Urlaub abgeschoben hatte, mehr wusste? Alexander ballte die Hände.
Er war kurz davor, sich auf seinen Kommandanten zu stürzen und die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln.
Die ganze Wahrheit! Wie das Attentat ablaufen sollte. Warum Papst Custos für den Zirkel der Antichrist war. Welche Pläne die Zwölf verfolgten. Ob er seinen Vater lieben oder hassen sollte.
«Ruhig, Alexander, wir können nichts tun, noch nicht!»
Elena stand neben ihm und flüsterte ihm die beschwichtigenden Worte ins Ohr. Ihre Nähe tat ihm gut, besänftigte ihn. Er hatte keine Ahnung, was aus ihm werden würde. Seit sie von Juliette wusste, hatten sie sich nicht mehr geliebt. Falls Elena sich von ihm verraten fühlte, konnte er es ihr, die mit Verrat aufgewachsen war, nicht verübeln. Er mochte sie
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