Der Engelspapst
Bekehrungsversuche à la Totus Tuus?»
Ein Glühen trat in Markus Rosins Augen, und seine Miene verhärtete sich. «Das war Notwehr. Der Antichrist hat den Heiligen Stuhl. bestiegen. Wenn wir den wahren Glauben jetzt nicht mit aller Macht verteidigen, ist es zu spät!»
«Ich kenne Papst Custos», sagte Alexander ruhig. «Er ist ganz bestimmt nicht der Antichrist, im Gegenteil.»
«Und was ist er deiner Meinung nach?»
Alexander zögerte. Er hatte sich diese Frage während der letzten Tage mehr als einmal selbst gestellt, ohne zu einer befriedigenden Antwort zu gelangen.
«Papst Custos hilft den Menschen», sagte er schließlich. «Und er will sie in den Mittelpunkt der Kirche stellen. Das macht ihn zum wohl wichtigsten Papst der Kirchengeschichte.»
«Hat er behauptet, ein Nachkomme unseres Herrn Jesus zu sein? Und du glaubst ihm die verrückte Geschichte? Warum?
Weil er läppische Wundertaten vollbringt?»
«Das waren keine läppischen Wundertaten! Er hat Kranke geheilt. Ich habe es selbst erlebt.»
«Viele Menschen verfügen über solche Kräfte, und es gibt sogar eine wissenschaftliche Erklärung für das unerwartete Verschwinden einer Krankheit: Mediziner bezeichnen den Vorgang als Spontanremission. Durch die plötzliche Freisetzung körpereigener Stoffe wird die Krankheit besiegt. Manche Menschen wirken offenbar wie ein Katalysator und helfen Kranken bei der Auslösung einer spontanen Heilung. Wie das im Einzelnen funktioniert, ist noch nicht erforscht, aber es ist ein natürlicher Vorgang!»
«Der Heilige Vater hat nichts anderes behauptet.»
«So, hat er nicht?», fauchte Markus Rosin, den Alexanders ruhige Art um seine Gelassenheit brachte. «Hat er sich nicht als Blutsverwandter des Messias ausgegeben?»
«Er nannte sich einen Nachkommen Jesu.»
«Für was hältst du Jesus, wenn du an den falschen Papst glaubst? Für einen x-beliebigen Wunderheiler?»
«Für einen Menschen, der sich Übermenschliches zur Aufgabe gemacht hat, so wie Custos.»
«Alexander! Wenn du Jesus die Göttlichkeit absprichst, bist du ein Ketzer!»
«Und das ist gut so», sagte Alexander zur Verblüffung seines Vaters. «Der Begriff ‹Ketzer› ist aus dem Wort ‹Katharer›
entstanden und das wiederum aus dem griechischen ‹kátharos›, was ‹rein› bedeutet. So nannten sich im Mittelalter christliche Sektierer, die meinten, einen reinen Glauben zu haben.»
«Abweichler, die die heilige Kirche und ihre Dogmen verhöhnt haben!», schnaubte Markus Rosin.
«Zu Recht. Wenn es eine falsche Lehre gibt, dann die der kirchlichen Dogmen. Jesus hat von einer Gemeinschaft Gleichgestellter gesprochen, frei von Hierarchie oder gar Bürokratie. Aber die Kirche, die sich auf Jesus beruft, ist eine durch und durch hierarchische Institution, ein Spiegelbild des römischen Imperiums, geprägt durch die Zeit ihrer Entstehung.
Aus einer rebellischen Religion ist eine der Herrschenden geworden, ein Instrument zur Bevormundung und Lenkung der Massen. Man unterwirft die Menschen dem Mechanismus von Schuld und Sühne und macht sie damit zu willfährigen Schafen, die in der Hoffnung auf eine Erlösung im Jenseits ihr reales Leben dem Hirten opfern.» Alexander beugte sich vor. «Und wenn es Vertreter einer reinen Lehre, Ketzer im besten Wortsinn, gibt, dann Custos und die Auserwählten. Ich kenne die Wahrheit. Der Heilige Vater hat mir die Wahre Ähnlichkeit Christi gezeigt.»
Markus Rosin erblasste. «Das war zu früh! Du warst nicht bereit dafür. Eines Tages hätte ich dir den Smaragd gezeigt, und dann hättest du seine Bedeutung verstanden.»
«Ich denke, ich habe seine Bedeutung sehr gut verstanden, Vater. Die Lehre, die du verteidigst, gründet sich auf eine Täuschung, auf eine Auferstehung, die niemals stattgefunden hat.»
«Na und?»
«Du gibst es zu?» Alexander war fassungslos.
«Der historische Jesus ist für den Glauben an Gott bedeutungslos. Er ist der Gegenstand des Glaubens, nicht aber sein Urheber. Nur was aus seinem Wirken entstanden ist, was Männer wie Paulus daraus geschaffen haben, zählt. Die heilige Kirche und ihre Religion gründen sich nicht auf einen Mann namens Jesus, sondern einzig und allein auf seinen Mythos, auf Christus, den Erlöser.»
Alexander lehnte sich zurück und trank den letzten, längst kalten Schluck Kaffee. Er brauchte die Pause, um seine Gedanken zu ordnen. Bis jetzt hatte er sich nicht schlecht geschlagen, aber angesichts der verblüffenden Offenheit seines Vaters drohte ihm
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