Der Engelspapst
zerstreuen.
Er stand auf, trat ans nächste Fenster und blickte hinaus aufs Meer, das unermüdlich gegen die zerklüftete Küste wogte. Die Sicht war hervorragend, deutlich erkannte er die grünen Hügel der kleinen Inseln Herrn und Jethou, zwischen denen sich die lang gezogene Küstenlinie von Guernsey zeigte. Fast war ihm, als könne er die Industriestadt St. Sampson mit ihren hoch aufragenden Schornsteinen und Verladekränen sehen. Sie schien einer anderen Welt anzugehören, einer Welt der feststehenden Dinge. Für Alexander war die Welt ins Schwanken geraten, als hätten die Meereswellen Brecqhou ergriffen und trügen die Insel nun schaukelnd mit sich fort. Es gab keinen festen Boden, keine Sicherheit, nur die nagenden Zweifel.
Markus Rosin trat hinter ihn und legte die Hand auf seine Schulter. Schauer jagten über seinen Rücken. Schauer nicht der Abneigung, sondern der Ergriffenheit. Wie sehr hatte er sich früher nach der Nähe seines Vaters gesehnt, nach seiner Zuneigung, einer Berührung!
Er hatte seinem Vater immer beweisen wollen, dass er seiner würdig war, ein echter Rosin, ein richtiger Mann. Wann, wenn nicht jetzt, sollte er diesen Beweis antreten?
«Du bist verwirrt, mein Sohn, und das mit Recht», sagte Markus Rosin mitfühlend. «Vielleicht hätte ich es nicht so hart ausdrücken sollen. Aber während der ganzen letzten Tage – als ich auf dich wartete – habe ich vergeblich nach anderen Worten gesucht.»
Alexander drehte sich zu ihm um. «Wie bist du zum General von Totus Tuus geworden? Als du Mutter geheiratet hast, musst du sie doch geliebt haben. Wann ist der Glaube für dich an die erste Stelle getreten, Vater? Nach meiner Geburt, als Mutter gestorben war?»
Markus Rosins Züge verhärteten sich, und mit klirrender Stimme sagte er: «Nein, zu dem Bruch ist es schon vorher gekommen. Als Isabelle mit dir schwanger war, erfuhr ich, dass sie mich betrogen hatte, mehr als einmal. Da habe ich erkannt, dass die Liebe zwischen Mann und Frau nicht von Dauer ist –
im Gegensatz zur Liebe Gottes.»
«Als Mutter schwanger war», wiederholte Alexander leise.
«Bin ich …»
«Daran habe ich auch gedacht», fiel sein Vater ihm ins Wort.
«Aber je älter du wurdest, desto sicherer war ich mir, dass du mein Sohn bist. Ich bin von meinem Vater, dem Gardemajor Andreas Rosin, in das Geheimnis um die Wahre Ähnlichkeit Christi eingeweiht worden. Ich fand meinen Weg zu Gott und hoffte, auch dich eines Tages auf den richtigen Weg zu führen.»
Alexander versuchte sich vorzustellen, was sein Vater damals empfunden haben mochte. Glaubte er, dass Gott Isabelle für ihre Untreue mit dem Tod bestraft hatte? Hatte er seinen Sohn anfangs für einen Bastard gehalten und sich deshalb von ihm abgewandt? Vielleicht war der Weg, der ihn bis an die Spitze von Totus Tuus geführt hatte, eine Flucht vor dem Leben mit all seinen Konflikten. Dann konnte seine nach außen so fest wirkende Überzeugung auch die fixe Idee eines Irregeleiteten sein. Plötzlich empfand Alexander Mitleid mit seinem Vater.
Der sagte: «Du solltest dich etwas hinlegen und ausruhen, mein Sohn. Wenn es dir besser geht, unterhalten wir uns weiter.»
«Eins muss ich noch wissen. Was ist mit Elena?»
«Immer die Frauen, wie?» Sein Vater lächelte kalt. «Sie ist hier und es geht ihr gut. Möchtest du sie sehen?»
Natürlich wollte Alexander das. Er konnte seine Erregung kaum verbergen, als Markus Rosin ihn durch Gänge und Treppenfluchten führte. Bewaffnete Wachen, denen sie hin und wieder begegneten, salutierten vor ihrem General. Ansonsten wirkte das Schloss, zog man seine enorme Ausdehnung in Betracht, menschenleer.
Als Alexander ihn darauf ansprach, erklärte sein Vater:
«Dieser Teil wird hauptsächlich für Konferenzen benutzt. Dann kommen die führenden Mitglieder unseres Ordens aus allen Teilen der Welt hierher, und das Schloss würde dir alles andere als menschenleer erscheinen. Auch jetzt halten sich übrigens in den anderen Trakten mehr Menschen auf.»
«Warum überhaupt dieser protzige Kasten?»
«Was hätten wir sonst hier bauen sollen? Ein zweites World Trade Center oder eine Kopie von Sankt Peter?»
Wie um die Worte ihres Generals zu bestätigen, begegneten ihnen mehr und mehr Menschen, Männer und Frauen in der schlichten dunklen Ordenskleidung. Sie eilten ameisengleich, als folgten sie einem nur ihnen bekannten Plan, geschäftig hin und her.
Vater und Sohn traten ins Freie, auf einen kleinen Innenhof.
Ein Bautrupp,
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