Der Engelspapst
hat sich nach dem nächsten Ausgang aus dem Vatikan erkundigt.»
«Dann kam er wohl nicht aus Rom?» In Imhoofs wässrigen Augen lag ein ungewohnt fester Blick, der etwas Prüfendes an sich hatte.
Alexander hielt dem Blick stand und antwortete: «Es hatte nicht den Anschein.»
Warum hatte er Monsignore Imhoof angelogen? Die Frage beschäftigte ihn auf dem Weg zur Kaserne ebenso wie die, was Pater Borghesi eigentlich von ihm gewollt hatte. Zermürbten die Ereignisse der letzten Tage allmählich seinen Verstand, sodass er niemandem mehr traute, nicht einmal dem Kaplan der Garde?
Außerdem wollte ihm einfach nicht in den Kopf, wieso der Heilige Vater der gelähmten Frau vor aller Augen geholfen hatte. Ihn, Alexander, hatte er zu strengem Stillschweigen verpflichtet, was seine besonderen Kräfte anging, und jetzt zeigte er sie quasi vor der Weltöffentlichkeit! Irgendetwas musste in den vergangene fünf Tagen geschehen sein.
In seinem Zimmer zog Alexander die durchnässte Uniform aus und schlüpfte in einen Jogginganzug. Er schaltete den Fernseher ein und nahm sich eine Dose Eistee aus dem kleinen Kühlschrank. Nach zweimaligem Umschalten fand er einen Sender, der die außerordentliche Presseerklärung zur morgendlichen Generalaudienz übertrug.
Zu Beginn flimmerte ein Zusammenschnitt der Audienz über den Bildschirm. Der Schwerpunkt lag eindeutig auf der Begegnung des neuen Papstes mit dem kleinen Mädchen und seiner gelähmten Mutter. In Großaufnahme sah Alexander das überraschte, unendlich glückliche Gesicht der geheilten Frau.
Wenn die Gefühle nur vorgetäuscht waren, hatte sie einen Oscar verdient. Die Kamera schwenkte auf den Papst, der von Alexander und Don Shafqat gestützt wurde. Das Gesicht des Heiligen Vaters war gezeichnet von der Erschöpfung, die Alexander aus nächster Nähe mitbekommen hatte.
Eine Moderatorin erklärte, noch immer habe man die Identität und die Krankheitsgeschichte der auf so wundersame Weise geheilten Frau nicht erhellen können. Sowohl der Vatikan als auch die römischen Behörden hüllten sich in Schweigen, teilte sie in vorwurfsvollem Ton mit. Und ein wenig schnippisch fragte sie, ob man nun vom Vatikansprecher Aufklärung erwarten dürfe.
Bernhard Wetter-Dietz saß auf dem gewohnten Platz im Konferenzraum des Pressesaals und blickte mit unbewegter Miene auf Kameras und Vatikanisten. Die heftige Erregung seines Publikums prallte wirkungslos an ihm ab. In den gewohnt trockenen Worten berichtete er von der Generalaudienz und erwähnte fast beiläufig, dass Papst Custos einer im Rollstuhl sitzenden Frau beim Aufstehen geholfen habe. Die Vatikanisten bestürmten ihn mit Fragen nach dem wunderbaren Charakter dieses Vorgangs. Er warf einen kurzen Blick auf das vor ihm liegende Manuskript. Natürlich war er vorbereitet. Er gestattete sich ein dünnes, überlegenes Lächeln – für seine Verhältnisse schon eine Art Gefühlsausbruch.
«Es gibt echte Wunder, zu denen von Gott Auserwählte befähigt sind, und es gibt Ereignisse, die uns wie Wunder erscheinen und gleichwohl mit menschlichem Verstand zu erklären sind. In früheren Jahrhunderten glaubten die Menschen, in der Berührung eines Herrschers oder Kirchenfürsten oder auch nur seiner Kleidung liege eine Heil bringende Kraft. Selbst den Überresten von hingerichteten Verbrechern hat man diese Wirkung zugeschrieben, und das Öl, in denen solch Unglückliche zu Tode gesotten wurden, hat man als heilendes Mittel verkauft. Bei tief religiösen Menschen mag dieser Glaube auch heute fortwirken und im Verein mit der emotionalen Anspannung, die eine unmittelbare Begegnung mit Seiner Heiligkeit mit sich bringt, verloren geglaubte Kräfte in einem geschwächten Körper freisetzen.»
Für einen Augenblick schwiegen die Vatikanisten. Selbst die redegewandten Journalisten mussten die gedrechselte Erklärung erst verarbeiten. Dann prasselten Fragen über Fragen auf Wetter-Dietz ein, die ihn sämtlich unbeeindruckt ließen. Seine Antworten klangen wie vorgefertigt: Nein, Hinweise auf wundersame Heilkräfte Seiner Heiligkeit lägen nicht vor.
Selbstverständlich könne man den Vorfall während der Generalaudienz rational erklären, er habe es doch eben getan. Er bedaure, aber nähere Angaben über die Frau im Rollstuhl könne man schon aus Gründen des Datenschutzes nicht machen und natürlich auch deshalb nicht, weil Sitte und Anstand es verböten.
Es schien ganz so, als sei der Vatikansprecher nicht aus der Fassung zu bringen. Bis
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