Der Engelspapst
hatte sich das nagende Schuldgefühl gemischt, und er war froh gewesen, als die Gräber endlich zugeschüttet waren und die Nacht ihr schwarzes Tuch über die Kuppeln und Dächer der Vatikanstadt warf.
An Marcel Daneggers Trauerfeier nahmen beileibe nicht so viele Menschen teil, auch keine Kardinäle und Bischöfe.
Monsignore Imhoof hielt den Trauergottesdienst in der Gardekapelle San Martino ab. Begleitet vom Trommeln des Regens auf das Dach, sprach der hochwürdige Herr Kaplan von der Tat eines Verzweifelten und Verwirrten und von der Schuld, die ihre Erlösung in barmherziger Vergebung finde. Und er sprach von der Kameradschaft, die in der Schweizergarde hochgehalten werde und trotz der Bluttat auch dem Adjutanten gelte. Dass so viele Gardisten zugegen waren, bestätigte seine Worte. Hätte die Garde dem toten Kameraden die letzte Ehre verweigert, hätten nicht zwei auf große Bidenhänder gestützte Gardisten in Galauniform am Kopfende des Sarges gestanden und wäre der Sarg nicht am Ende des Gottesdienstes von sechs uniformierten Gardisten aus Daneggers Geschwader auf den Friedhof getragen worden.
Auch Alexander trug die Galauniform und im Gleichschritt mit den anderen folgte er dem Sarg. Wohl niemand hätte es ihm verübelt, wenn er an dieser Beerdigung nicht teilgenommen hätte, doch es fiel ihm nicht schwer, Danegger das letzte Geleit zu geben. Gestern, bei Heinrich und Juliette, war seine Brust wie zugeschnürt gewesen, und er hatte um jeden Atemzug ringen müssen. Heute war er beinahe gelassen, allenfalls spürte er drängende Neugier, aber weder Schmerz noch Hass. Denn er hielt Marcel Danegger nicht für schuldig, auch wenn ihm die konkreten Beweise fehlten. Als der Sarg ins Grab hinuntergelassen wurde, war Alexander, als werde hier nicht der Täter beerdigt, sondern ein weiteres Opfer.
Ein Gardist nach dem anderen trat an das Grab, um eine Schaufel Erde auf den Sarg zu werfen. Ihnen folgten Angehörige und Freunde des Toten, die Erde und Blumen in die Tiefe warfen.
Daneggers Eltern blieben lange vor dem Grab stehen, die Mutter in Tränen aufgelöst, der Vater mit steinernem Gesicht.
Ganz zum Schluss trat eine junge Frau im schwarzen Hosenanzug vor, und ihre Hände zitterten, als sie einen Rosenstrauß in das Erdloch fallen ließ. Sie war zierlich. Ihr langes blondes Haar war mit einer schwarzen Schleife zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Einige Strähnen hatten sich gelöst und hingen ihr ins Gesicht. Ihre Augen waren verquollen, ihre Wangen gerötet; offensichtlich hatte sie viel geweint. Lange blieb sie vor dem Grab stehen, bis sie sich abrupt umdrehte und in den Reihen der Trauernden untertauchte.
Alexander wandte sich an Utz Rasser, der neben ihm stand.
«Das Mädchen kommt mir irgendwie bekannt vor.»
Utz grinste schräg. «Du solltest deine Klamotten nicht immer in der Stadt kaufen. Danegger war cleverer und hat sie sich geangelt. Sie heißt Raffaela und arbeitet als Verkäuferin im Magazin.»
Daneggers Freundin! Alexander fühlte sich wie elektrisiert.
Unterbewusst hatte er gehofft, auf der Beerdigung einen Hinweis zu finden, der ihn bei seiner Suche nach den wahren Hintergründen des Mordes weiterbrachte. Wenn diese Raffaela mit Danegger gegangen war, wusste sie womöglich Dinge von ihm, die er seinen Kameraden nicht anvertraut hatte.
Er ließ Utz einfach stehen und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Eilig folgte er der Frau, deren schwarz gekleidete Gestalt hinter dem Regenschleier mit dem dunklen Fleck einer ausladenden Steineiche zu verschmelzen drohte. Er sah nur noch den blonden Schopf, der bei jedem Schritt auf und ab hüpfte.
Mit der linken Hand das schlingernde Schwert an seiner Hüfte festhaltend, begann er zu laufen. Was seine Kameraden dachten, kümmerte ihn nicht. Vermutlich glaubten sie, er habe es nicht länger ausgehalten, am Grab des Mannes zu stehen, der seine Verwandten auf dem Gewissen hatte.
Als er die Steineiche erreichte, hatte er Daneggers Freundin aus den Augen verloren. Unter der belaubten Baumkrone blieb er stehen und suchte den Friedhof nach ihr ab. Er sah Bäume, Grabsteine und Statuen, aber keine Raffaela. Als eine heisere Stimme ihn von hinten ansprach, fuhr er zusammen.
«Beneide die Toten, die hier liegen, nicht um ihre Ruhe, mein Sohn. Viele von ihnen mussten vor ihren Schöpfer treten, ohne ihre diesseitigen Angelegenheiten geregelt zu haben. Bei aller Trauer solltest du dich freuen, dass du Gelegenheit hast, deine weltlichen Dinge ins
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