Der Engelspapst
er sich auch anstrengte, er konnte die Kirche Santa Maria a Lago di Albano, die irgendwo am westlichen Kraterhang liegen musste, nicht ausmachen. Es war sogar schwierig gewesen, sie auf Landkarten zu finden. Auch hierbei hatte ihm ein Besuch in der Gardebibliothek geholfen. Auf alten Karten und in alten Verzeichnissen war Santa Maria noch eingetragen, mal als Dorfkirche, mal als klösterliches Heim für alte Kanoniker und Benefiziaten. Ein Vermerk besagte, das Heim sei vor elf Jahren geschlossen worden.
Er stieg wieder in den Wagen und versuchte, anhand einer fotokopierten älteren Landkarte den Weg zu Pater Borghesis Refugium zu finden. Als er sich endlich auf der richtigen Straße wähnte, die sich am inneren Kraterrand entlangschlängelte, tauchte hinter einer Biegung eine Baustelle mit einer Straßensperre auf. Da es Sonntag war, standen Bulldozer, Schaufelbagger, Schottermaschine, Straßenwalze und eine transportable Bauhütte verlassen am Straßenrand. Alexander wollte soeben auf die Bremse treten, als er neben der Sperre die schmale Durchfahrt dicht am Abgrund bemerkte, gerade breit genug für ein Fahrzeug. Nachdem er den Lancia am Abhang vorbeilaviert hatte, folgte er den Windungen der Bergstraße noch etwa einen Kilometer, dann schob sich links vor ihm unvermittelt ein wie an den Hang geklebtes baufälliges Gemäuer aus dem Grün von Bäumen und Buschwerk.
Santa Maria a Lago di Albano. Er wusste es sofort, obwohl er zum ersten Mal hier war. Der von einem großen Kreuz geschmückte Glockenturm und die Statue der Muttergottes mit dem Jesuskind über dem Kirchenportal sprachen eine deutliche Sprache. Jüngere Anbauten, nicht weniger verkommen als die Kirche selbst, duckten sich in ihrem Schatten. Die Gebäude stammten vermutlich aus der Zeit, als die Kirche zu einem Heim für alte Mönche umfunktioniert worden war. Alexander hielt vor dem Portal und stieg aus. Der ganze Komplex wirkte verlassen.
Der zarte Hauch eines Glockenklangs kam nicht aus dem brüchigen Turm, der sich über ihm erhob, sondern wurde vom sanften Morgenwind aus einem fernen Dorf über den See geweht. Irgendwo im nahen Wald war ein eifriger Specht am Werk.
Gerade wollte Alexander sich den Anbauten zuwenden, da hörte er leise Geräusche aus der Kirche. Seine Wildlederschuhe knirschten auf dem Kies, als er sich dem madonnengekrönten Portal näherte. Es war nur angelehnt und quietschte gedehnt, als er einen Flügel aufzog. Aus dem Halbdunkel, in das nur durch die kleinen bunten Fenster ein wenig Licht fiel, schlug ihm abgestandene süßliche Luft entgegen, ein seltsames Gemisch aus Weihrauch und menschlichen Ausdünstungen.
Jetzt hörte er die Geräusche deutlicher, ein gelegentliches Klatschen – wie der lustlose Applaus eines Theaterbesuchers, der ein schlechtes Stück gesehen hat. Dazu murmelte eine Stimme, hin und wieder von einem Seufzen oder Stöhnen unterbrochen, lateinische Worte. Er musste genauer hinhören, um den Singsang zu erkennen: « Totus tuus, Domine. Hic iacet pulvis, cinis et nihil. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. » – «Vollkommen der Deine, Herr. Hier liegen Staub, Asche und nichts. Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld.»
Für einen Augenblick erschauerte Alexander. Die Kirchenbänke vor ihm waren leer, bedeckt von einer dicken Staubschicht. Keine der Kerzen brannte, der Altar war verwaist, und doch hatte er das Gefühl, mitten in eine Messe geraten zu sein.
Er gab sich einen Ruck und schritt an den Reihen wurmstichiger Holzbänke entlang, bis er rechts einen Lichtschein bemerkte, der wie die Worte und die Gerüche aus einer kleinen Kapelle kam. Langsam und leise, um die fremde Andacht nicht zu stören, trat er in den Durchgang zur Kapelle, und es verschlug ihm den Atem. Die Szene, die sich ihm bot, hätte eher ins Mittelalter gepasst.
Zwei bis drei Dutzend Kerzen brannten ringsum an den mit stockfleckigen Teppichen geschmückten Wänden des kleinen Raums und erfüllten ihn mit einer Wärme, die bei Alexander augenblicklich zu einem Schweißausbruch führte. Auf dem kleinen Altar, dessen ihm zugewandte Seite von einem Mosaik des dornengekrönten Messias geziert wurde, stand ein Weihrauchfass, aus dem dichter Rauch quoll. Auf dem rauen Steinboden vor dem Altar kniete ein Mann, nackt wie Adam vor dem Sündenfall, und sprach wieder und wieder die Litanei. Alle zehn Sekunden schlug er seinen bereits blutigen Rücken mit einer Geißel. Unermüdlich bissen die fünf am Ende in
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