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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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einzigen, heftigen Glockenschlag, der ihnen in den Ohren dröhnte. Dann ruhte die alte Glocke, nur noch leise vibrierend, wieder über ihren Häuptern.
    «Geh, geh!», keuchte Borghesi, offensichtlich verängstigt. «Es ist Zeit für dich!»
    Den kalten, staubigen Metallkasten im Arm, stieg Alexander die Treppe hinab. Borghesi blieb oben stehen und sah ihm nach.

10
    Giorgio Borghesi stand noch auf dem Turm, als unten der Motor ansprang. Er trat an ein scheibenloses Fenster und blickte nach draußen. Der blaue Lancia, mit dem Oberst Rosin vor zehn Tagen hergekommen war, wendete auf dem kleinen Kirchenvorplatz und rollte im Schritttempo auf die schmale Straße, wo er hinter einer mit Steineichen und Myrtensträuchern bewachsenen Biegung verschwand.
    Erst als das Motorengeräusch in der Ferne verklungen war, verließ auch der Geistliche den Glockenturm. Er verschloss das Tor sorgfältig, als wäre das in irgendeiner Weise wichtig. War überhaupt noch etwas wichtig angesichts dessen, was der Welt bevorstand?
    Borghesi blickte auf die Straße, auf der sich die Reifenspuren des Lancias abzeichneten. Hätte er den Schweizer deutlicher warnen, hätte er ihn einweihen sollen in das, was er wusste?
    Seine Hand glitt an der Soutane entlang, bis sie den Schlüssel ertastete. Er hatte Alexander verschwiegen, dass er die Kassette geöffnet und Albert Rosins Bericht gelesen hatte. Gewiss, er hätte dem jungen Rosin einiges erzählen können. Aber hätte das dem Gardisten geholfen? Vermutlich hätte er ihm nicht einmal geglaubt, ihm nicht glauben wollen. Auch Borghesi an seiner Stelle hätte gezweifelt, geflucht, geschrien. Nein, der Schweizer musste den Bericht selbst lesen, musste aus eigener Kraft zu den richtigen Schlüssen gelangen!
    Borghesi gab sich einen Ruck und ging mit energischen Schritten zum Kirchenportal. Nur die Buße konnte ihm noch helfen. Buße für das, was er gesagt, und für das, was er verschwiegen hatte. Warum hatte er seinem Besucher überhaupt so viel erzählt? Konnte er ernsthaft hoffen, dass ein einzelner Schweizergardist in der Lage war, das Verhängnis abzuwenden?

    Und wenn es sich zehnmal um einen Rosin handelte – es war doch zu unwahrscheinlich.
    Vielleicht hatte er einfach sein Gewissen erleichtern wollen.
    Viel zu lange hatte er die schreckliche Last schweigend mit sich herumgetragen.
    Die halbdunkle Kirche spendete ihm Trost. Vor dem Altar fiel er auf die Knie, bekreuzigte sich und lobpreiste den Herrn. Als ihm einfiel, dass jedes Kreuzzeichen auch eine Bestätigung der göttlichen Dreifaltigkeit war, fühlte er sich noch unwohler. Er musste büßen, rasch!
    Eiligst suchte er die kleine Kapelle auf, deren Luft noch von Weihrauch geschwängert war, und steckte mit fingerlangen Zündhölzern die Kerzen an. Er streifte die Soutane ab und das härene Büßerhemd, das er darunter trug. Auch die schweren Schuhe zog er aus, um sich vollkommen nackt vor den Altar zu knien.
    Er blickte das Mosaik mit dem dornengequälten Erlöser an, schlug inbrünstig mit der Geißel auf seinen Rücken und sagte nach jedem Schlag: « Totus tuus, Domine. Hic iacet pulvis, cinis et nihil. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. »
    Das Aufklatschen der Lederschnüre auf seiner Haut und seine leiernde Stimme waren die einzigen Geräusche, die er vernahm.
    Die leisen Schritte auf dem Boden der Kirche gingen darin unter. Und da er zum Altar gewandt kniete, bemerkte er auch den Schatten nicht, den das Kerzenlicht in den Kapellendurchgang warf.

    Der Engelspapst!
    Der Begriff wollte Alexander nicht aus dem Kopf, als er langsam die Bergstraße zurückfuhr. Er hatte es nicht eilig, es war noch früh am Tag. Und es gab viel, worüber er auf seiner Fahrt zurück nach Rom nachzudenken hatte. Aber Rom hatte Zeit. Vorher würde er an einer abgelegenen Stelle halten und mit einem der Werkzeuge, die in der Ledertasche hinten im Wagen lagen, die Metallkassette öffnen, die auf dem Beifahrersitz stand.
    Immer wieder sah er den unscheinbaren Kasten an und versuchte zu erraten, was seinem Onkel so wichtig erschienen sein mochte, dass er es dem seltsamen Geistlichen in Verwahrung gegeben hatte. In der Kiste klapperte es dumpf, wenn der Lancia durch ein Schlagloch holperte, was nicht selten vorkam.
    Die verlassene Baustelle tauchte vor ihm auf, und er bremste, um eine unfreiwillige Talfahrt hinunter zum See zu vermeiden.
    Etwas kam ihm verändert vor. Vermutlich lag es daran, dass er sich dem Ort jetzt aus der entgegengesetzten Richtung

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