Der Engelspapst
in den Bergen sagen. Und sie sind überzeugt davon, dass die Bergbewohner hier die so genannte Ewige Stadt überdauern werden, um aus ihrem Schoß ein neues Rom, eine neue Welt zu gebären.»
«Jeder Ort hat seine Legenden.»
«Man hat die Gräber des alten Alba Longa unter den Mauern von Castel Gandolfo gefunden», entgegnete Borghesi mit Nachdruck. «Warum wohl hat der Heilige Vater gerade hier oben seine Zuflucht gewählt, warum zog es die großen Papstfamilien schon seit dem sechzehnten Jahrhundert in diese Berge? Und nicht nur sie, auch die römischen Adelsgeschlechter haben sich hier Paläste gebaut. Um der Sommerhitze unten in der Tiberstadt zu entkommen? Oder steckt mehr dahinter, haben die Mächtigen sich hier ein Refugium geschaffen, in dem sie das Ende Roms, des Hauptes der Welt, zu überdauern gedachten?
Schon die Römer der Antike haben hier Villen und Tempel errichtet.»
«Spekulieren kann man viel. Die Ruinen geben keine eindeutigen Antworten.»
«Ob du es glaubst oder nicht, Alexander Rosin, diese Berge sind ein magischer Ort!»
Alexander betrachtete den Pater mit zunehmender Skepsis.
Erst der merkwürdige Auftritt bei Daneggers Beerdigung, dann die Selbstgeißelung und nun die seltsamen Geschichten über die Albaner Berge. Hatte sich in der Einsamkeit der verfallenen Kirche der Geist des ehemaligen Benefiziaten verwirrt?
«Sie glauben also, Hochwürden, die Magie dieses Ortes wird Sie vor dem … dem Ende der Welt beschützen?» Er bemühte sich, bei diesen Worten nicht zu grinsen.
«Was der Heilige Vater und andere in den Bergen suchen, weiß ich nicht. Ich brauche keinen Schutz. Wozu auch? Aber hier oben habe ich Muße, zu mir selbst zu finden. Und der beschwerliche Weg hält lästige Menschen von mir fern.»
«Vielen Dank für die Blumen», knurrte Alexander. «Mir ist immer noch nicht klar, weshalb eine Schlechtwetterphase das Ende der Menschheit bedeuten soll.»
«Manche, die den alten Weissagungen glauben, sagen, es sei an der Zeit für Gottes Ebenbild auf Erden, sich dem höchsten Richter zu stellen. Das Jüngste Gericht stehe unmittelbar bevor.»
«Alte Weissagungen?»
Borghesi setzte sich auf einen Felsvorsprung und starrte zum See hinunter. «Sagt dir der Name Malachias etwas?»
«Ein schottischer Abt aus dem Mittelalter, dem hellseherische Fähigkeiten zugeschrieben werden, richtig?»
«Fast. Malmedoic O’Morgar, genannt Malachias oder Malachäus, wurde Ende des elften Jahrhunderts im nordirischen Armagh geboren und war später Erzbischof dieser Stadt. Der heilige Bernhard von Clairvaux, mit dem Malachias befreundet war und in dessen Armen er bei einer Romreise im Jahr 1148
starb, hat uns die seherische Begabung seines Freundes überliefert. Malachias wird auch die Prophezeiung über das Papsttum von Cölestin II. bis zum Ende der Zeiten zugeschrieben.»
«Zugeschrieben ist eine treffende Bezeichnung», sagte Alexander. «Ich habe gelesen, dass diese angebliche Prophezeiung erst ein paar Jahrhunderte später entstanden sein soll.»
«Selbst wenn es so wäre – muss sie deshalb unwahr sein?
Vielleicht hat man sie auch dem glaubwürdigen Malachias zugeschrieben, um ihren Ernst zu betonen? Immerhin waren die Voraussagen für die zukünftigen Päpste erstaunlich zutreffend.»
«Also gut, nennen wir sie die Prophezeiung des Malachias», seufzte Alexander, dem angesichts der immer neuen und immer fantastischer werdenden Geschichten des Paters der Kopf zu schwirren begann. «Hat unser nebulöser Malachias auch diese Wolke über Rom vorausgesagt?»
«Nicht die Wolke über Rom, aber die über dem Christentum.
Nach seiner Aufzählung ist unser neuer Papst der letzte Oberhirte der Christenheit. Dieser Heilige Vater wird seine Herde laut Malachias durch mannigfache Leiden führen. Danach wird die Stadt der sieben Hügel der Zerstörung anheim fallen und der Schreckliche Richter wird über die Menschen Gericht abhalten. Der schrecklichste, weil allmächtige Richter ist Gott!»
Borghesi sprach mit einer Inbrunst, wie sie nur einem von seiner Sache Überzeugten innewohnt – oder einem Besessenen.
Alexander wollte sich nicht von dem Wahn mitreißen lassen und erwiderte bewusst distanziert: «Vielleicht hat dieser Malachias oder Pseudo-Malachias sich einfach verzählt.»
Der Pater schüttelte den Kopf. «Auch das Übrige stimmt.
Malachias nannte den letzten Papst Petrus Romanus, Peter aus Rom. Und es gibt andere Weissagungen, denen zufolge der zweite Oberhirte, der den Namen
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