Der Engelspapst
Petrus trage, der letzte Papst sein wird.»
«Aber der Heilige Vater hat sich Custos genannt, nicht Petrus, und er ist Franzose!»
«Er hat sechs Jahre lang als Kurienkardinal in Rom gelebt», entgegnete Borghesi sachlich. «Und sein Taufname Jean-Pierre heißt nichts anderes als Johannes -Peter . Ein Peter, lateinisch Petrus, hat in Rom gelebt und den Heiligen Stuhl bestiegen.»
Seine Stimme begann zu zittern, unverwandt starrte er zu der riesigen, düsteren Wolke hinüber. «Der Engel des sechsten Siegels ist gekommen! Und ich sah, als es das sechste Siegel aufbrach, da kam ein großes Erdbeben, und die Sonne wurde finster wie ein schwarzes Trauerkleid, und der ganze Mond wurde wie Blut. »
«Das ist aus der Offenbarung des Johannes, nicht wahr?», fragte Alexander unsicher.
«Ja. In der Apokalypse des Johannes bringt der Engel des sechsten Siegels Finsternis, Blut und Zerstörung. Und er rechnet mit denen ab, die den falschen Weg eingeschlagen haben. Willst du es als Zufall bezeichnen, dass unser Papst nicht nur Peter, sondern auch Johannes heißt?»
Alexander trat auf den Pater zu und hätte ihn am liebsten kräftig geschüttelt. Hatten zu viele Peitschenhiebe nicht nur seine Haut zerbissen, sondern auch sein Gehirn?
«Erst nennen Sie den Heiligen Vater den zweiten Petrus, jetzt ist er auch noch der Johannes der Apokalypse oder ein Engel!
Was noch?»
Borghesis Augen hinter den dicken Gläsern schienen Alexander direkt ins Herz zu blicken. «Du willst es nicht begreifen, mein Sohn. Alles hängt zusammen und nur so ergibt sich der Sinn. In der Offenbarung des Johannes und im Alten Testament, in den Prophezeiungen des Ezechiel, ist die Rede von dem, der das Verlorene suchen und das Versprengte zurückholen wird. Von einem Engel, der die Siegel des lebendigen Gottes trägt. Und schon seit vielen Jahrhunderten erwarten Propheten und Theologen – von Joachim von Fiore bis zu Girolamo Savonarola – immer wieder den Papa Angelicus, den Engelspapst!»
«Den Engelspapst?», wiederholte Alexander ungläubig. «Papst Custos?»
«Es ist der engelsgleiche Papst, der von unserm Herrn zur Erde gesandt wird, um die wahre Lehre Jesu wieder in Erinnerung zu bringen – bei denen, die vorgeben, Gott anzubeten, und sich doch ihre eigenen Gesetze machen. Es soll nicht länger im Namen Christi Unrecht verübt, Leid und Entsetzen unter das Volk gebracht werden. Der Engelspapst wird seine Herde zurück auf die Weide des Herrn führen, und die Schrecken der Apokalypse werden diejenigen verschlucken, die harten Herzens sind.»
Borghesi sprach in einem seltsamen, leiernden Tonfall, als verkünde er nur das, was eine fremde Stimme ihm eingab.
Alexander konnte sich nicht länger zurückhalten. Er packte den Geistlichen bei den Schultern, rüttelte ihn und sagte aufgebracht:
«Wie können Sie behaupten, unser Heiliger Vater sei dieser Engelspapst?»
«Aber ich habe es dir doch eben erklärt, mein Sohn. Alle Zeichen stimmen, auch sein Name. Und was heißt Gardien? Der Hüter, der Aufseher, der Wächter, der Beschirmer. Ange gardien ist im Französischen der Schutzengel. Und Custos heißt nichts anderes als Gardien! Verstehst du noch immer nicht? Als Kardinal Gardien seinen Papstnamen erwählte, übertrug er nur seinen eigenen Namen ins Lateinische. Er brauchte keinen neuen Namen zu suchen, denn er ist der Erwartete, der Hüter des wahren Glaubens!»
Alexander wollte protestieren, aber ihm gingen die Argumente aus. Was sollte er auch sagen eingedenk seiner eigenen wundersamen Erlebnisse mit dem Heiligen Vater? Und wenn Elenas Recherchen stimmten, gab es noch mehr Beweise seiner heilenden Kräfte.
«Dein Verstand weigert sich anzunehmen, was dein Herz längst begriffen hat», stellte Borghesi fest. «Ich sehe es dir an.
Du selbst hast das Wappen des Papstes gedeutet. Das Blau, das für die Wahrheit steht. Die Waage als Symbol der Gerechtigkeit und die Kerze als Verkörperung des göttlichen Lichts. Und dann der einzelne Stein, die Verneinung der von Menschen behaupteten Dreifaltigkeit Gottes. Es gibt nur einen Gott und es gibt nur eine Wahrheit über Jesus Christus. Der Engelspapst wird die wahre Lehre wiederherstellen, wenn dabei auch Schrecken und Not über die verirrte Christenheit kommen.»
«Aber … was ist die Wahrheit?»
«Der auf dem Heiligen Stuhl weiß es.»
«Und warum Schrecken und Not?»
«Die vermeintliche Wahrheit wird durch eine andere ersetzt.
Das hat in jedem Fall eine Veränderung der Wirklichkeit zur
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