Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Stelle, wo der Gang um die Ecke bog und man nichts mehr sehen konnte. »Ich kann es nicht erreichen, ohne hineinzukriechen.«
    »Dann wollen wir es uns morgen anschauen«, erwiderte Binabik eindringlich. »Komm jetzt.«
    Simon schob sich vorsichtig in die Öffnung. Vielleicht war es näher, als es aussah, bei Fackelschein konnte man das schwer sagen. Er hielt die brennenden Fackeln vor sich und bewegte sich auf Ellenbogen und Knien, bis sein ganzer Körper im Tunnel steckte. Wenn er sich nur zu ganzer Länge ausstrecken konnte, dann würde er danach greifen können …
    Unvermittelt gab der Boden unter ihm nach, und Simon, der heftig um sich schlug, steckte in der lockeren Erde. Er griff nach der Tunnelwand, die zu bröckeln begann, aber noch einen Augenblick hielt, sodass er sich mit beiden ausgestreckten Armen abstützen konnte.
    Seine Beine sanken immer tiefer in die merkwürdig weiche Erde, bis er bis zum Gürtel im Boden des Tunnels steckte. Eine der Fackeln war ihm entfallen und lag zischend im feuchten Boden, nur wenige Handbreit von seinen Rippen entfernt. Die andere steckte unter seiner an die Tunnelwand gestemmten Hand; er hätte sie nicht loslassen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Er fühlte sich sonderbar leer und furchtlos.
    »Binabik!«, rief er. »Ich bin eingebrochen!«
    Noch während er sich zu befreien versuchte, fühlte er, wie sich das Erdreich unter ihm auf eine höchst sonderbare Weise bewegte, haltlos wie Sand unter einer zurückrollenden Woge.
    Der Troll hatte die Augen so weit aufgerissen, dass das Weiße glänzte. »Kikkasut!«, fluchte er und brüllte: »Miriamel! Komm sofort her!« Dann rutschte er die Böschung wieder hinunter und suchte sich einen Weg um den breiten Bootsrumpf herum.
    »Komm nicht zu nah«, warnte Simon. »Die Erde kommt mir so merkwürdig vor. Nicht, dass du auch noch durchbrichst.«
    »Dann verhalte dich ganz still.« Der kleine Mann ergriff den vorstehenden Rand des im Boden verankerten Bootskiels und streckteSimon den Arm hin. Aber zwischen den beiden lag noch über eine Elle, der Troll kam nicht an Simon heran.
    »Miriamel wird unser Seil bringen.« Seine Stimme klang ruhig und fest, aber Simon wusste, dass Binabik Angst hatte.
    »Und da ist noch etwas … da unten ist etwas, das sich bewegt«, warnte Simon unruhig. Es fühlte sich entsetzlich an, ein Zusammenpressen und Wiedernachgeben des Bodens, als ringele sich unter ihm in der Tiefe eine riesige Schlange um seinen Leib. Simons schlafwandlerische Ruhe verflog, wich wachsendem Grauen. »B-Bina-bik! Bina-bik …« Die Luft blieb ihm weg.
    »Halte still!«, drängte sein Freund. »Wenn du nur …«
    Den Rest des Satzes hörte Simon nicht mehr. Plötzlich spürte er ein scharfes Brennen an seinen Knöcheln, als hätte man sie mit lauter Nesseln umwunden, dann zuckte die Erde unter ihm und begrub ihn. Er konnte gerade noch den Mund zumachen, als auch schon die Erdklumpen um ihn herum über seinem Kopf zusammenschlugen wie die wütende See.
     
    Miriamel hatte gesehen, wie Binabik aus dem Loch stieg. Während sie die dornigen Zweige aufschichtete, die sie gesammelt hatte, beobachtete sie, wie er vor dem Eingang in den Hügel stand und mit Simon sprach, der sich noch im Inneren befand. Sie überlegte beiläufig, was sie wohl gefunden hätten. Es kam ihr alles so sinnlos vor. Wie konnten alle Schwerter der Welt, magisch oder nicht, dem führerlosen Wagen noch Einhalt gebieten, den der Wahnsinn ihres Vaters ins Rollen gebracht hatte? Nur Elias selbst konnte ihn anhalten, aber dazu würde ihn auch eine Drohung mit Zauberwaffen nicht bewegen. Miriamel kannte ihren Vater nur allzu gut, kannte das trotzige Blut in seinen Adern. Und der Sturmkönig, der grausige Dämon, den sie in ihren Träumen gesehen hatte, der Gebieter der Nornen? Nun, ihr Vater war es selbst gewesen, der das untote Scheusal in die Welt der Sterblichen gerufen hatte. Miriamel kannte genug alte Geschichten, um zu wissen, dass auch nur Elias Ineluki wieder fortschicken und die Tür hinter ihm verriegeln konnte.
    Aber sie wusste auch, dass ihre Freunde entschlossen waren, ihren Plan auszuführen, so wie sie selbst auf ihrem eigenen bestand, und siewürde ihnen nicht im Weg stehen. Allerdings hatte sie von vornherein nicht den Wunsch verspürt, mit ihnen in das Grab hinunterzusteigen. Es waren sonderbare Zeiten, gewiss, aber nicht so sonderbar, dass sie unbedingt herausfinden wollte, was zwei Jahre in der schonungslosen Erde dem Körper ihres

Weitere Kostenlose Bücher