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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ja gar nicht absichtlich vor mir.«
    Er warf seinem Mundschenk einen fast klaren Blick zu. »Vielleicht weiß Pryrates es selbst nicht. Es wäre nicht das Einzige, das er nicht weiß. Ich habe immer noch ein paar Geheimnisse, die nur mir gehören.« Er schwieg und grübelte.
    »Aber wenn Pryrates nicht merkt, wie sich … alles verändert hat … was könnte das dann bedeuten?« Er sah aus dem Fenster, hinüber zum Turm. »Was könnte das bedeuten?«
    Hengfisk wartete geduldig. Der König trank sein Gebräu aus und hielt ihm den Becher hin. Der Mönch nahm ihn aus seiner Hand und stellte das Gefäß wieder auf den Tisch neben der Tür.
    Dann zog er sich in seine Ecke zurück und rollte sich an der Wand zusammen. Nur sein Kopf blieb erhoben, als rechne er mit weiteren Befehlen.
    »Der Turm wartet«, sagte Elias ruhig. »Er wartet schon sehr lange.«
    Als er sich an das Fenstersims lehnte, kam ein Wind auf, der sein dunkles Haar aufwallen ließ und ein paar Blätter flüsternd und raschelnd im Zimmer herumwirbelte.
    »O Vater …«, seufzte der König leise. »Barmherziger Vater, wenn ich doch nur schlafen könnte.«

    Eine schreckliche Zeit lang hatte Simon das Gefühl, in kalter feuchter Erde zu ertrinken. Alle Albträume von Tod und Verwesung, die er je im Leben gehabt hatte, schossen durch seinen Kopf, während ihm die Erde in Augen und Nase drang und seine Arme und Beine festhielt. Er scharrte und kratzte, bis er die Hände am Ende seiner Arme nicht mehr fühlen konnte, aber noch immer umschloss ihn die erstickende Erde.
    Doch so jäh, wie sie ihn verschluckt hatte, spie sie ihn auf einmal wieder aus. Seine Beine, zappelnd wie bei einem Ertrinkenden, fanden plötzlich keinen Widerstand mehr. Gleich darauf stürzte er mit einer großen Lawine lockerer Erde in die Tiefe. Hart prallte er auf, und der so lange angehaltene Atem entlud sich mit schmerzhaftem Zischen. Simon keuchte und schluckte Sand.
    Lange kniete er am Boden, würgend und spuckend. Als sich die Lichtblitze vor seinen Augen allmählich zerstreuten, hob er den Kopf. Von irgendwo kam Licht – nicht viel, aber genug, um ihm den vagen Umriss runder Wände und die niedrige Decke zu zeigen. Ein neuer Tunnel? Oder nur eine Grube im Abgrund, sein ganz persönliches Grab, in dem er schon bald ersticken würde?
    Auf dem lockeren Erdhügel unter ihm schien eine kleine Flamme erblüht zu sein; von ihr stammte das Licht.
    Sobald er seine zitternden Glieder wieder in der Gewalt hatte, kroch er darauf zu und entdeckte, dass es sich um die Spitze einerseiner Fackeln handelte, die der große Erdrutsch nicht verschüttet hatte. So behutsam er konnte, wühlte er seine Hand in die lehmige Erde und grub die Fackel aus, befreite sie von anhaftendem Schmutz und fluchte geistesabwesend, wenn er sich dabei die Finger verbrannte. Als er sie gereinigt hatte, so gut er konnte, hielt er sie nach unten, damit die kleine Flamme sich ausbreiten konnte. Bald brannte sie heller.
    Das Erste, was er erkannte, war, dass er sich tatsächlich in einem weiteren Tunnel befand. In der einen Richtung führte er abwärts wie der, in den er vom Grabhügel aus eingedrungen war, aber er besaß keinen Ausgang. Das andere Ende lag gleich hinter Simon, ein formloser Haufen Erde, ein großes, stumpfes Nichts aus feuchten Schollen und lockerem Sand. Dahinter konnte er weder Licht noch Geräusche wahrnehmen. Ganz gleich, durch welches Loch er gefallen sein mochte, die Erde hatte es aufgefüllt.
    Als Zweites sah er den stumpfen Glanz von Metall in dem Erdhaufen. Er bückte sich und grub es aus. Unbestimmte Enttäuschung überkam ihn, als er merkte, wie leicht der Gegenstand sich herauslösen ließ und wie klein er war. Das war nicht Hellnagel. Es war eine silberne Gürtelschnalle.
    Er hielt die schlammbedeckte Schließe ins Licht seiner Fackel. Mit den Fingern wischte er den Schmutz ab und lachte auf, ein rauher, schmerzhafter Laut, der in dem engen Gefängnis rasch erstarb. Dafür also hatte er sein Leben aufs Spiel gesetzt – das war der Köder, der ihn in die Kerker der Tiefe gelockt hatte! Die Schnalle war so zerkratzt und abgetragen, dass das Bild darauf kaum zu erkennen war. Irgendein Tierkopf bildete das Mittelstück, mit eckiger Schnauze, wie ein Bär oder ein Schwein, umgeben von ein paar schmalen Strichen, die Stöcke oder Pfeile darstellen konnten. Jedenfalls handelte es sich um etwas Altes und Unwichtiges – etwas Wertloses.
    Simon rammte den Fackelgriff in den Boden und kletterte

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