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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Dörfer und Familien. Selbst ich begreife es kaum, obwohl ich es glaube.
    Nebel umwirbelte sie, als sie sich Naglimunds schattenhaftenMauern näherten. Hinter der Bresche regten sich undeutliche Gestalten, obwohl die schrillen Schreie der Nornen und die vogelartigen Kriegsgesänge der Sithi scheinbar von allen Seiten ertönten. Unvermittelt standen sie vor der großen Mauerlücke, einem weit aufgerissenen Maul, das die Sterblichen mit Haut und Haaren verschlingen wollte.
    Gerade als Eolair hindurchritt, zerrissen ein Blitzschlag und Donnergepolter die Luft. Für den Moment schien sich alles ins Gegenteil zu verkehren, der Nebel wurde schwarz, die dunklen Gestalten vor ihm strahlten weiß. Kreischend bäumte sein Pferd sich auf und kämpfte gegen die Zügel. Gleich darauf bohrte sich ein zweiter greller Lichtfleck in seine Augen und blendete ihn. Als er wieder sehen konnte, merkte er, dass das vor Angst außer sich geratene Tier zurück nach der Mauerbresche raste, mitten unter die zurückweichenden Männer des Grafen. Eolair riss mit aller Macht an den Zügeln, aber es nützte nichts. Mit einem erstickten Fluch zog er die Füße aus den Steigbügeln und rollte sich aus dem Sattel. Krachend landete er auf dem verschneiten Boden, während sein Pferd in wilder Flucht das Weite suchte. Es trieb die Soldaten auseinander und trampelte mehrere von ihnen nieder.
    Eolair lag da und schnappte nach Luft. Rauhe Hände packten ihn und stellten ihn wieder auf die Füße. Zwei von seinen Hernystiri starrten ihn mit angstgeweiteten Augen an.
    »Das … das Licht …«, stammelte einer.
    »Mein Pferd ist toll geworden!«, überschrie der Graf den Lärm. Er klopfte sich den Schnee von Beinlingen und Wappenrock und rückte weiter vor. Die Männer schlossen sich an. Isgrimnurs Pferd hatte nicht gescheut. Der junge Rimmersmann saß noch darauf und war weiter vorn schon im Nebel verschwunden.
    Der Innenhof von Naglimund sah aus wie eine albtraumhafte Schmiedewerkstatt. Nebel quoll wie Rauch aus allen Ecken. Aus den hohen Fenstern loderten Stichflammen und wehten wie riesige, brennende Vorhänge. Die Sithi waren bereits in einen Nahkampf mit den Nornen verwickelt; ihre von Flammen und Nebel vergrößerten Schatten standen über der Burg wie kämpfende Götter. Einen Augenblick lang glaubte Eolair zu begreifen, was Maegwin in ihnensah. Er wäre am liebsten flach auf das Gesicht gefallen und hätte gewartet, bis alles vorbei war.
    Im Dunst erschien ein Reiter. »Vor der inneren Burg sind die Sithi in großer Not!«, rief Isorn. Sein Kinn zeigte einen blutigen Striemen. »Dort kämpfen die Riesen.«
    »O ihr Götter«, sagte Eolair trübe. Er winkte seinen Kriegern mitzukommen und trabte hinter Isorn her. Bei jedem Schritt versanken seine Stiefel im Schnee, und er hatte das Gefühl, mühsam einen Steilhang hinaufzustapfen. Er wusste, dass sein Panzerhemd zu schwer war, um damit eine längere Strecke schnell zu laufen. Schon jetzt atmete er schwer, und noch war kein Schlag getauscht.
    Die Schlacht vor der inneren Burg war ein Gewirr von Klingen, Nebel und fast unsichtbaren Feinden. Isorn hielt an, hob einen heruntergefallenen Spieß auf und ritt gegen einen verwundeten Riesen an, der mit seiner Keule ein halbes Dutzend Sithi in Schach hielt. Eolair spürte eine Bewegung hinter sich, fuhr herum und sah einen dunkeläugigen Nornen, der mit hoch erhobener grauer Axt auf ihn zurannte. Die beiden wechselten einige Hiebe, dann rutschte Eolair aus und fiel auf ein Knie. Noch bevor sein Feind den Vorteil nutzen konnte, scharrte der Graf eine Handvoll Schnee zusammen und warf sie dem Nornen ins Gesicht. Ohne erst nachzusehen, ob er den anderen damit abgelenkt hatte, stieß er vor und schwang sein Schwert in einem knöchelhohen Bogen. Stahl krachte gegen Knochen, und sein Feind brach über ihm zusammen.
    Die nächsten Sekunden schien tiefe Stille zu herrschen. Die Geräusche der Schlacht versanken, als sei der Graf in eine andere Welt versetzt worden, ein Reich des Schweigens, das nur eine Elle breit und wenige Zoll tief war und in dem es nur seinen eigenen, verzweifelten Kampf gab, seinen versagenden Atem und die Knochenfinger, die seine Kehle umkrallten. Über ihm schwebte ein weißes Gesicht, boshaft grinsend wie eine Teufelsmaske aus dem Süden. Die Augen des Scheusals waren flache, schwarze Kiesel, und sein Atem roch wie eine kalte Grube in der Erde.
    Eolair trug einen Dolch im Gürtel, wollte aber den anderen nicht loslassen, um danach zu greifen,

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