Der Engelsturm
Endlich, auf der anderen Seite des Bergfrieds, fand er Isorn. Der junge Rimmersmann lag mit verrenkten Gliedern auf der Erde, neben ihm der heruntergefallene Helm. Sein Pferd war fort.
Brynioch von den Himmeln! Eolair war seit Stunden dem eisigen Wind ausgesetzt, aber als er den Körper seines Freundes sah, wurde ihm noch kälter. Isorns Hinterkopf war überströmt von Blut. O ihr Götter, was soll ich seinem Vater sagen?
Er rannte auf Isorn zu und packte ihn an der Schulter, um ihn umzudrehen. Das Gesicht des jungen Rimmersmanns war eine Maske aus Schlamm und rasch schmelzendem Schnee. Vorsichtig wischte Eolair es ab. Isorn würgte.
»Du lebst!«
Isorn schlug die Augen auf. »Eolair?«
»Ja, ich bin es. Was ist geschehen, Mann? Bist du schwer verwundet?«
Isorn holte tief und rasselnd Atem. »Der Erlöser bewahre mich, ich weiß es nicht. Ich fühle mich, als hätte man mir den Schädel gespalten.« Er betastete ihn mit zitternder Hand und starrte dann auf die rotgefärbten Finger. »Einer der Hunen hat mich erwischt. Ein großes, haariges Ungetüm.« Er sank zurück und schloss die Augen. Wieder erschrak Eolair, aber schon blickte Isorn zu ihm auf. Er sah etwas wacher aus, aber seine Worte überzeugten Eolair vom Gegenteil.
»Wo ist Maegwin?«
»Maegwin?« Eolair nahm die Hand des jungen Mannes. »Sie befindet sich im Lager. Du dagegen liegst im Innenhof von Naglimund und bist verletzt. Ich werde Leute holen, die mir helfen, dich fortzubringen.«
»Nein«, unterbrach ihn Isorn, ungeduldig trotz aller Schwäche. »Sie war hier. Ich rannte ihr nach, als mich der Riese … mit seiner Keule traf. Er hat nicht mit ganzer Kraft zugeschlagen.«
»Maegwin … hier?« Eolair kam es vor, als spreche der Nordmann plötzlich eine fremde Sprache. »Was meinst du?«
»Was ich gesagt habe. Ich sah sie in der Nähe der Kämpfenden.Sie ging quer über den Hof nach der Rückseite des Bergfrieds. Zuerst dachte ich, es wäre ein Trugbild im Nebel, aber ich weiß ja, dass sie schon die ganze Zeit so sonderbar war. Ich folgte ihr und sah sie gerade noch … dort …«, er verzog vor Schmerz das Gesicht und zeigte auf die entgegengesetzte Ecke des massiven Bergfrieds. »Ich lief ihr nach, da erwischte mich der Hune von hinten. Bevor ich begriff, was geschehen war, lag ich schon hier. Ich weiß nicht, warum er mir nicht den Garaus gemacht hat.« Trotz der Kälte standen ihm Schweißperlen auf der bleichen Stirn. »Vielleicht kamen gerade ein paar Sithi.«
Eolair stand auf. »Ich hole Hilfe. Bleib ganz ruhig liegen.«
Isorn versuchte zu lächeln. »Und dabei wollte ich heute Abend im Burggarten spazieren gehen.«
Der Graf deckte den Freund mit seinem Mantel zu und rannte zur Vorderseite der Burg zurück, vorbei an den Belagerern, die die großen Türen bestürmten. Er fand seine Hernystiri an einer Lücke der Außenmauer, zusammengedrängt wie Schafe, die sich vor dem Donner fürchten. Vier der kräftigsten nahm er mit zurück; sie sollten Isorn ins Lager tragen. Sobald er sich überzeugt hatte, dass sie ihn in Sicherheit brachten, machte er sich auf die Suche nach Maegwin. Es hatte seine ganze Selbstbeherrschung gefordert, zunächst dafür zu sorgen, dass seinem Freund nichts mehr geschehen konnte.
Er brauchte nicht lange, um die Prinzessin zu finden. Sie lag zusammengekrümmt hinter dem Bergfried auf der Erde. Obwohl er kein Zeichen von Gewalt an ihr finden konnte, fühlte ihre Haut sich totenkalt an. Falls sie noch atmete, war es nicht festzustellen.
Als er eine Weile später wieder zur Besinnung kam, trug er Maegwins schlaffen Körper in den Armen und stolperte am Fuß des Burgbergs von Naglimund ins Lager hinein. Wie er dorthin gelangt war, wusste er nicht. Einige der Männer hoben den Kopf, als er näher kam, aber ihre Blicke bedeuteten ihm nicht mehr als die hellen Augen von Tieren.
»Kira’athu sagt, sie lebt, aber sie ist dem Tod sehr nah«, sagte Jiriki. »Meine Trauer ist mit Euch, Eolair von Nad Mullach.«
Der Graf sah von Maegwins bleichem, schlaffem Gesicht auf. An der anderen Seite des Lagers erhob sich die Sithaheilerin und schlüpfte leise an Jiriki vorbei aus dem Zelt. Fast hätte Eolair sie zurückgerufen, aber er wusste, dass es noch andere gab, die ihrer Hilfe bedurften, nicht zuletzt seine eigenen Männer. Außerdem konnte sie hier zweifellos nicht mehr viel ausrichten, obwohl Eolair nicht hätte sagen können, was die silberhaarige Sitha überhaupt getan hatte. Er war viel zu sehr darauf
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