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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und sei es auch nur für einen Augenblick. Doch obwohl er dem Nornen an Größe überlegen war,verloren seine Hände und Arme allmählich an Kraft. Sein Gegner presste ihm die Halsmuskeln immer enger zusammen und drückte die Luftröhre zu. Eolair blieb keine Wahl.
    Er ließ die Handgelenke des Nornen los und riss den Dolch aus der Scheide. Die Finger um seine Kehle strafften sich, und die Stille begann zu zischen; Finsternis senkte sich über die Welt. Eolair hackte mit dem Messer auf die Flanke des Unholds ein, bis der Druck nachließ. Dann Umschlag er den sterbenden Feind wie eine Geliebte, um ihn so zu hindern, nach der eigenen Waffe zu greifen. Endlich hörte der auf ihm liegende Körper auf zu zappeln. Eolair gab ihm einen Stoß, und der Norne rollte herunter und lag schlaff im Schnee.
    Während Eolair noch nach Luft rang, tauchte am Rand seines umwölkten Gesichtsfeldes Kuroyis schwarzer Kopf auf. Der Sitha schien zu prüfen, ob der Graf am Leben bleiben würde oder nicht. Dann verschwand er wortlos.
    Der Graf zwang sich zum Sitzen. Sein Wappenrock war nass vom schnell erkaltenden Blut des Nornen. Er starrte auf den dahingestreckten Leichnam und konnte plötzlich den Blick nicht mehr abwenden, versteinert mitten im Chaos. Etwas an der Gesichtsform seines Feindes und dem schmalen Körper war … anders.
    Da lag eine Frau. Er hatte mit einer Nornin gekämpft.
    Hustend kam Eolair auf die Füße. Jeder Atemzug brannte in seiner Kehle. Er brauchte sich nicht zu schämen – sie hatte ihn fast umgebracht –, aber er tat es doch.
    Was für eine Welt!
    Als die Stille aus seinem Kopf wich, drang das Singen von Sithi und Wolkenkindern von neuem auf ihn ein, vereinte sich mit irdischerem Wut- und Schmerzensgebrüll und erfüllte die Luft mit einer komplizierten und erschreckenden Musik.
     
    Eolair blutete aus einem Dutzend Wunden. Seine Glieder waren schwer wie Stein. Die Sonne, die den ganzen Tag nicht richtig herausgekommen war, schien im Westen versunken zu sein, aber er hätte nicht sagen können, ob es der Sonnenuntergang oder die hüpfenden Flammen waren, die die Nebel so rot färbten. Von den Verteidigernder inneren Burg waren die meisten gefallen. Nur ein letztes Aufgebot der Nornen und der größte Riese waren noch übrig, zurückgedrängt in einen überdachten Laufgang vor den hohen Türen des Bergfrieds. Sie schienen entschlossen, diese Stellung zu halten. Die aufgeweichte Erde vor ihnen war übersät von Leichen und mit Blut getränkt.
    Als das Getümmel nachließ, befahl der Graf seinen Hernystiri den Rückzug. Das Dutzend, das noch stand, hatte stumpfe Augen und fiel fast um vor Müdigkeit, aber sie bestanden darauf, bis zum Ende weiterzukämpfen. Eolair empfand eine grimmige Liebe für sie, während er laut über ihren Starrsinn fluchte. Er erklärte ihnen, dass dieser Kampf nur noch die Sithi angehe; lange Waffen und schnelle Reflexe würden benötigt, wo die taumelnden Menschen nur noch ihre versagenden Körper und tapferen Herzen zu bieten hatten. Er bestand auf seinem Rückzugsbefehl und schickte seine Männer in die verhältnismäßige Sicherheit der Außenmauer. Er wünschte sich verzweifelt, wenigstens einige von ihnen lebendig aus diesem Albtraum herauszubringen.
    Er selbst blieb zurück, um nach Isorn zu suchen, der sich auf den Ruf des Kriegshorns nicht gemeldet hatte. Unbeachtet von den Sithikriegern, die den Riesen aus dem schützenden Bogengang herauszutreiben versuchten, wo er ihnen noch in seinen letzten Momenten furchtbare Wunden schlug, stolperte der Graf am Rande des Gefechts dahin. Die Sithi schienen es ungeheuer eilig zu haben; Eolair konnte nicht verstehen, warum. Fast sämtliche Verteidiger waren tot; der kleine Rest schützte die Türen des Bergfrieds, und wer immer sich darin aufhielt, schien sie offenbar lieber sterben zu sehen, als den Versuch zu unternehmen, sie hereinzuholen. Nach und nach würden die Sithi sie abschießen. Jirikis Volk besaß zwar kaum noch Pfeile, aber mehrere der Nornen hatten ihre Schilde verloren, und im zottigen Pelz des halb hinter einem Bogenpfeiler verborgenen Riesen steckte bereits ein halbes Dutzend gefiederter Schäfte.
    Vor Eolair lagen die Körper von Sterblichen und Unsterblichen unterschiedslos verstreut, als hätten die Götter sie vom Himmel herabgeschleudert. Der Graf kam an vielen Gesichtern vorbei, die erkannte: junge Hernystiri, mit denen er gestern Abend noch am Lagerfeuer gesessen hatte, Sithi, deren goldene Augen ins Nichts starrten.

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