Der Engelsturm
kam ihm erstaunlich glimpflich vor.
»Ja – wenn du dich nicht zu Tode schuften willst«, erklärte der Mann und fing an zu husten, lange, trockene Stöße, von ganz tief unten. Es dauerte einige Zeit, bis er wieder sprechen konnte. »Wenn der Doktor sieht, dass du neu bist«, schnaufte er, »dann holt er aus dir raus, was er kann, keine Sorge. Und mehr als das. Ein böser Mensch, das ist er!« Es klang sehr überzeugend. »Besser, wenn du nicht auffällst.«
Simon schaute auf die schmutzigen Stofffetzen hinunter.
»Ich danke dir. Wie ist dein Name?«
»Stanhelm.« Der Mann hustete wieder. »Und sag auch keinem von den andern, dass du neu bist, sonst rennen sie so schnell zum Doktor, dass dir die Augen rausfallen. Sag allen, du hättest bei den Erzeimern gearbeitet. Die Leute, die das machen, schlafen in einem Loch auf der andern Seite, aber die Weißfüchse und die Soldaten kippen einfach alle Flüchtlinge durch diese Tür, ganz gleich, von welcher Seite sie abgehauen sind.« Traurig fügte er hinzu: »Sind bloß noch ein paar Mann von uns übrig, und ein Haufen Arbeit. Darum haben sie dich auch hierhergeschafft und dir nicht den Hals abgeschnitten. Wie heißt du, Junge?«
»Seoman.« Er blickte auf die anderen Schmiedeknechte, die wieder in teilnahmsloses Schweigen verfallen waren. Die meisten hatten sich auf ihren dünnen Decken zusammengerollt und die Augen geschlossen. »Wer ist dieser Doktor?« Für den Bruchteil eines Augenblicks hatte ihn der Klang des Namens mit seltsamer Hoffnung erfüllt. Aber Morgenes, selbst wenn er den furchtbaren Brand überlebt hätte, würde diesen Männern niemals solche Furcht einjagen.
»Wirst ihn schon kennenlernen«, antwortete Stanhelm. »Früh genug.«
Simon wickelte sich den Stoffstreifen um den Kopf. Er roch nach Rauch und Schmutz und anderen Dingen. Man konnte nur schwer durch ihn atmen. Er sagte es Stanhelm.
»Musst ihn feuchthalten. Wirst noch deinem Erlöser dafür dankbar sein. Sonst kriecht dir das Feuer den Hals runter und versengt dir die Eingeweide.« Stanhelm strich mit dem geschwärzten Fingerüber das Hemd. »Zieh das auch an.« Er warf unruhige Blicke über die Schulter nach den anderen Schmiedeknechten.
Simon verstand. Sobald er das Hemd anzog, würde er sich nicht mehr von ihnen unterscheiden – nicht auffallen. Es waren bedrückte, gebrochene Männer, das war offensichtlich. Niemand wollte hier Aufmerksamkeit erregen.
Als er den Kopf durch die Halsöffnung gesteckt hatte und wieder etwas sehen konnte, schwankte ein drohender Schatten auf ihn zu. Kurz dachte Simon, einer der Schneeriesen hätte sich aus dem Norden hierher in den Hochhorst verirrt.
Der große Kopf drehte sich langsam von rechts nach links. Die Maske aus zerstörtem Fleisch legte sich in zornige Falten.
»Zu viel Schlaf, kleine Rattenmänner«, dröhnte das Ungeheuer. »Gibt Arbeit. Der Priester will alles gleich fertig haben.«
Simon dankte Usires für den zerschlissenen Lappen, der ihn in einen gesichtslosen Gefangenen verwandelte. Er wusste, dass dieses einäugige Scheusal neues Grauen für ihn bedeutete.
O Mutter der Barmherzigkeit Sie haben mich an Inch ausgeliefert.
19
Tückisch wie die Zeit
laubst du, Simon könnte hier unten sein?« Binabik sah von dem getrockneten Hammelfleisch auf, das er gerade in kleine Stücke zerlegt hatte. Es war ihre Morgenmahlzeit, wenn man an einem so lichtlosen Ort von einem Morgen sprechen konnte. »Wenn er es ist«, antwortete der Kleine, »so fürchte ich, dass die Möglichkeit, ihn aufzuspüren, gering sein wird. Mein Bedauern, Miriamel, aber die Tunnel sind viele Meilen lang.«
Simon, der allein und im Dunkel umherirrte. Ein Gedanke, der unsagbar wehtat. Und sie hatte ihn so grausam behandelt!
Verzweifelt bemüht, an etwas anderes zu denken, fragte sie: »Haben die Sithi wirklich diese ganze Anlage gebaut?« Die Wände waren so hoch, dass das Licht der Fackel die Decke nicht erreichte. Über ihnen wölbte sich die tiefste Schwärze. Bis auf die Tatsache, dass es weder Sterne noch Wetter gab, hätten Miriamel und der Troll genauso gut draußen unter freiem Nachthimmel sitzen können.
»Mit Hilfe errichteten sie alles. Den Sithi wurde die Unterstützung ihrer Verwandten zuteil, so habe ich gelesen, und das waren jene, die die Karten anfertigten, welche du kopiert hast. Auch sie waren unsterblich, Meister über Gestein und Erde. Eolair hat gesagt, noch immer lebten einige von ihnen unter dem Boden von Hernystir.«
»Aber wer könnte
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