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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mehr für Tiere als für Menschen bestimmt zu sein schien. An den Wänden waren wie leere Nester hier und da zerschlissene Decken aufgehäuft. Im Wassertrog spiegelte sich ein blutroter Schein, als wäre er mit geschmolzenem Metall gefüllt. Statt einer dicken Steinmauer, wie Simon sie als Rückwand einer Gefängniszelle erwartet hätte, gab es auf der anderen Seite der Höhle eineÖffnung, die in einen dahinterliegenden, größeren Raum führte, eine weite Halle voll flackernder, feuriger Lichter. Irgendwo schrie jemand vor Schmerz auf.
    Verblüfft sah Simon sich um. Hatte man ihn in die tiefsten Tiefen geschleppt – in den feurigen Rachen der Hölle? Oder hatten die Nornen sich ihre eigene kleine Hölle ausgedacht, um ihre ädonitischen Gefangenen zu quälen?
    Plötzlich stoben die Gestalten vor ihm, die so stumpfsinnig dagestanden hatten wie grasende Ochsen, auseinander und duckten sich hastig an die Höhlenwände. In dem Durchlass zwischen den beiden Räumen erschien ein Umriss, der Simon erschreckend bekannt vorkam. Ohne nachzudenken, floh er zur Seite, drückte sich in eine dunkle Nische an der Wand und zog sich eine stinkende Decke bis an die Augen.
    Pryrates kehrte der kleineren Höhle noch immer den Rücken zu und schrie auf jemanden ein, den man nicht sehen konnte. Im Kahlkopf des Alchimisten spiegelte sich ein Feuerbogen. Noch ein paar Worte, dann drehte er sich um und kam näher. Im umherliegenden Geröll knirschten seine Stiefelabsätze. Er durchquerte die Höhle und stieg auf steinernen Stufen bis zu dem schmalen Sims an der Tür, drückte mit der flachen Hand dagegen. Sie schwang nach außen und fiel hinter ihm wieder ins Schloss.
    Simon hatte gedacht, dass ihn nichts mehr entsetzen oder überraschen könnte, jetzt aber sackte ihm vor Verblüffung die Kinnlade herunter. Was tat Pryrates hier unten? Warum war er nicht auf dem Weg nach Wentmünd? Selbst der König glaubte, dass er dorthin geritten war. Warum betrog der Alchimist seinen Herrscher?
    Und wo bin ich hier eigentlich?
    Plötzlich hörte er ein Geräusch und sah auf. Eine der mit Lumpen vermummten Gestalten kam auf ihn zu. Sie bewegte sich mit der gequälten Langsamkeit eines Greises. Der Mann, denn die Augen über den Lappen waren unzweifelhaft menschlich, blieb vor Simon stehen und betrachtete ihn. Er sagte etwas, aber es kam so undeutlich, dass Simon nichts verstand.
    »Was?«
    Der Mann hob die Hand und zog sich langsam den steifen Stoffvom Gesicht. Er war unglaublich mager. Die runzligen Züge überwucherte ein grauer Bart. Aber es war etwas an ihm, das ahnen ließ, er könne jünger sein, als er aussah.
    »Noch Glück gehabt heute, wie?«, sagte der Fremde.
    »Glück?« Simon begriff nicht. Hatten die Nornen ihn zu den Verrückten gesperrt?
    »Der Priester. Ein Glück, dass er heute was andres vorgehabt hat. Und dass es keine Aufgaben mehr gibt, für die er Gefangene braucht.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.« Simon erhob sich aus seiner geduckten Stellung und betastete die blauen Flecke von seinem letzten Sturz.
    »Du … du bist keiner aus der Schmiede«, sagte der Fremde mit schmalen Augen. »Dreckig, das bist du, aber da ist kein Rauch an dir.«
    »Die Nornen haben mich erwischt«, erklärte Simon nach kurzem Zögern. Er hatte keinen Grund, dem Mann zu vertrauen, aber auch keinen Grund, ihm das zu verschweigen. »Die Weißfüchse«, verbesserte er sich, als er im abgezehrten Gesicht des anderen Verständnislosigkeit sah.
    »Ach, diese Teufel.« Er schlug verstohlen einen Baum. »Die sehen wir manchmal, aber nur von weit weg. Gottlose, unnatürliche Unholde.« Er musterte Simon von Kopf bis Fuß und rückte dann noch etwas näher. »Sag keinem andern, dass du nicht aus der Schmiede bist«, zischelte er. »Komm mit.«
    Er zog Simon eine kleines Stück beiseite. Die anderen Maskierten hoben die Köpfe, schienen aber wenig Interesse an ihm zu haben. Ihre Augen glotzten leer vor sich hin wie die von Fischen an Land.
    Der Mann griff in einen wirren Haufen von Decken und wühlte schließlich eine Rauchmaske und ein schmutziges, zerfetztes Hemd hervor. »Hier, nimm. Hat dem alten Krummbein gehört, aber wo der jetzt ist, wird er’s nicht vermissen. Damit siehst du aus wie alle andern.«
    »Ist das ein Vorteil?« Simon fiel es schwer, seinen Kopf zum Denken anzuhalten. Anscheinend befand er sich in der Burgschmiede. Aber warum? Bestand die einzige Strafe für sein Spionieren darin,dass er in der Schmiedewerkstatt arbeiten musste? Das

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