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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dort unten leben?«, fragte Miriamel verwundert. »Ohne jemals den Tag zu sehen …«
    »Ah, du missbegreifst«, lächelte der Troll. »Asu’a war erfüllt von Licht. Die Burg, in der du gewohnt hast, hatte ihre Erbauung obenüber dem großen Haus der Sithi. Asu’a wurde begraben, damit der Hochhorst geboren werden konnte.«
    »Aber es will nicht begraben bleiben«, versetzte Miriamel grimmig.
    Binabik nickte. »Wir Qanuc haben einen Glauben, dass der Geist eines Ermordeten keine Ruhe findet und sich im Körper eines Tiers festsetzt. Manchmal folgt er dann demjenigen, der ihn getötet hat, manchmal bleibt er auch an der Stätte, die er früher am meisten geliebt hat. So oder so gibt es kein Rasten für ihn, bis die Wahrheit an den Tag kommt und das Verbrechen gesühnt ist.«
    Miriamel dachte an die Geister der vielen ermordeten Sithi und schauderte. Sie hatte so manches seltsame Echo gehört, seitdem sie in die Tunnel unter Sankt Sutrin hinabgestiegen waren. »Die Sithi finden auch keine Ruhe.«
    Binabik hob die Brauen. »Hier unten gibt es mehr als nur rastlose Geister, Miriamel.«
    »Ja, aber ist nicht auch er einer von ihnen«, sie senkte die Stimme, »der Sturmkönig, nicht wahr? Die Seele eines Ermordeten auf der Suche nach Rache.«
    Der Troll machte ein besorgtes Gesicht. »Unfroh bin ich, an diesem Ort über solche Dinge zu reden. Auch erinnere ich mich, dass er selbst an seinem Tod schuld war.«
    »Weil die Rimmersmänner die Burg umstellt hatten und ihn sowieso umgebracht hätten.«
    »Wahrheit liegt in deinen Worten«, gab Binabik zu. »Doch bitte, Miriamel, nichts mehr davon. Ich weiß nicht, was für Wesen hier weilen oder welche Ohren lauschen. Aber ich meine, je weniger wir über solche Dinge sprechen, desto glücklicher werden wir sein, in mehrfacher Hinsicht.«
    Miriamel neigte zustimmend den Kopf. Sie wünschte sich sogar, nie davon angefangen zu haben. Wenn man länger als einen Tag durch diese verwirrenden Schatten gewandert war, saß einem der Gedanke an den untoten Feind ohnehin schon zu dicht im Nacken.
     
    Am ersten Abend waren sie nicht mehr allzu weit in die Tunnel eingedrungen. Die Katakombengänge unter Sankt Sutrin hatten sichallmählich verbreitert und dann bald stetig abwärts ins Erdinnere geführt. Schon nach der ersten Stunde kam es Miriamel vor, als müssten sie unter dem Bett des viele Faden tiefen Kynslagh angelangt sein. Bald fanden sie auch einen einigermaßen bequemen Fleck, an dem sie rasten und etwas essen konnten. Sie saßen dort noch nicht lange, als sie merkten, wie müde sie eigentlich waren, und so hatten sie ihre Mäntel ausgebreitet und geschlafen. Beim Aufwachen hatte Binabik mit Hilfe seines Feuertopfes – eines winzigen irdenen Krügleins, in dem auf geheimnisvolle Weise ein stetiger Funke glühte – ihre Fackeln wieder angezündet, und nach ein paar Bissen Brot und etwas Dörrobst, hinuntergespült mit warmem Wasser, waren sie erneut aufgebrochen.
    Ihr Weg hatte sie auf vielen gewundenen Pfaden immer weiter nach unten geführt. Sie hatten sich bemüht, den allgemeinen Angaben auf der Karte der Unterirdischen zu folgen, aber die Tunnel schlängelten sich nach allen Richtungen und verwirrten sie. Sie konnten kaum noch darauf vertrauen, nicht vom Kurs abgewichen zu sein. Kein Zweifel bestand jedoch daran, dass sie, wo immer sie sich inzwischen auch befanden, das Reich der Menschen hinter sich gelassen hatten. Sie waren ins tiefe Asu’a hinuntergestiegen, in gewisser Weise eine Rückkehr in die Vergangenheit. Als Miriamel einzuschlafen versuchte, drehten sich in ihrem Kopf die Gedanken. Wer konnte ahnen, dass die Welt so viele Geheimnisse barg?
     
    Auch der Morgen hatte ihr Staunen nicht verringert. Sie war selbst für eine Königstochter weit gereist und hatte viele der denkwürdigsten Stätten Osten Ards besucht, von der Sancellanischen Ädonitis bis zum Schwimmenden Schloss von Warinsten, aber im Vergleich zu den Köpfen, die diese fremdartige, verborgene Burg ersonnen hatten, verblasste selbst das Können der erfinderischsten Baumeister der Menschen.
    Die Zeit und heruntergefallene Steinbrocken hatten einen großen Teil Asu’as zu Staub zermahlen, aber es blieb noch genug übrig, um zu zeigen, wie unvergleichlich es einst gewesen war. So beeindruckend auch die Ruinen von Da’ai Chikiza ausgesehen hatten, diese hier, das erkannte Miriamel sehr schnell, übertrafen sie bei weitem.Scheinbar freischwebend schwangen sich Treppen empor und kräuselten sich ins

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