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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Gewissen.«
    »Und was hältst du von den Unterirdischen? Haben sie dir gesagt, warum sie mich mitgenommen haben?« Ihr kam ein Gedanke.
    »Oder bist du jetzt auch ihr Gefangener?«
    »Ich weiß nicht, ob Gefangener das zutreffende Wort ist«, erwiderte Binabik nachdenklich. »Ja, als sie mich fanden und wir zu diesem Ort hier gingen, hat Yis-fidri mir viel erzählt. Wenigstens eine Zeitlang erzählte er.«
    »Was soll das heißen?«
    »Es sind Soldaten in den Tunneln«, erläuterte der Troll. »Und auch andere – Nornen, glaube ich –, obwohl wir sie im Gegensatz zu den Soldaten nicht erblickt haben. Aber die Unterirdischen spürten sie deutlich, und ich glaube nicht, dass sie nur so taten, um mir etwas vorzuspiegeln. Voller Entsetzen waren sie.«
    »Nornen? Hier? Aber ich dachte immer, sie könnten die Burg nicht betreten!«
    Binabik zuckte die Achseln. »Wer weiß? Es ist ihr untoter Herr, dem dieser Ort versperrt ist. Doch nie hätte ich angenommen, dassdie lebendigen Nornen den Wunsch hegen würden, hier einzudringen. Allerdings würde ich es auch nicht mehr für ein verwunderliches Ding halten, wenn man mir bewiese, dass alles, was ich bislang als Wahrheit angesehen habe, falsch ist.«
    Yis-fidri kam, bückte sich und hockte sich zu ihnen. Das gepolsterte Leder seiner Kleidung knarrte. Trotz seines freundlichen, traurigen Gesichts erinnerten seine langen Glieder Miriamel ein wenig an eine Spinne, die vorsichtig über ihr Netz krabbelt.
    »Da ist dein Gefährte, Miriamel, heil und gesund.«
    »Ich bin froh, dass ihr ihn gefunden habt.«
    »Und keinen Augenblick zu früh.« Yis-fidri war unverkennbar besorgt. »Die Tunnel wimmeln von Sterblichen und Hikeda’ya. Nur weil wir den Eingang zu dieser Höhle so geschickt verstecken, sind wir hier noch sicher.«
    »Wollt ihr denn weiter hierbleiben? Das wird keinem nützen.« Die Begeisterung über Binabiks Rückkehr hatte sich etwas gelegt, und Miriamel merkte, wie ihre Verzweiflung zurückkehrte. Hier saßen sie alle in einer abgelegenen Höhle gefangen, und draußen schien die Welt auf eine entsetzliche Katastrophe zuzutreiben. »Fühlst du denn nicht, dass etwas vorgeht? Alle anderen hier unten haben es gespürt.«
    »Natürlich fühle ich es.« Einen Moment lang klang Yis-fidri fast zornig. »Wir alle fühlen es stärker als du. Wir kennen diese Veränderungen aus alter Zeit. Wir wissen, was die Worte der Erschaffung für Folgen haben können, und auch die Steine sprechen zu uns. Aber wir besitzen nicht die Kraft, diese Vorgänge aufzuhalten, und wenn wir die Aufmerksamkeit anderer auf uns lenken, bedeutet es unser Ende. Unsere Freiheit hat für niemanden einen Vorteil außer für uns.«
    »Worte der Erschaffung!«, begann Binabik, aber bevor er seine Frage beenden konnte, erschien Yis-hadra und flüsterte ihrem Gatten in der Sprache der Unterirdischen hastig etwas zu. Miriamel sah an ihr vorbei zur anderen Höhlenwand, wo sich der Rest der Gruppe zusammendrängte. Die Unterirdischen waren sichtlich verstört. Die Augen weit aufgerissen im matten Licht, tuschelten sie leise untereinander, wobei sie ständig mit den großen Köpfen nickten und wackelten.
    Yis-fidris hagere Züge sahen erschrocken aus. »Es ist jemand draußen«, erklärte er.
    »Draußen?« Miriamel schnürte ihren Reisesack zu. »Was heißt ›draußen‹? Und wer?«
    »Das wissen wir nicht. Jemand steht vor der verborgenen Tür dieser Kammer und versucht hineinzugelangen.« Er wedelte ängstlich mit den Händen. »Es sind keine Soldaten der Menschen, denn wer immer es ist, er muss über eine gewisse Macht verfügen – wir haben die Tür abgeschirmt, soweit die Kunst der Tinukeda’ya es nur vermag.«
    »Nornen?«, wisperte Miriamel.
    »Wir wissen es nicht!« Yis-fidri stand auf und schlang den dünnen Arm um Yis-hadra. »Wir können nur hoffen, dass sie die Tür, selbst wenn sie sie entdeckt haben, nicht sprengen können. Sonst können wir nichts mehr tun.«
    »Aber es gibt doch sicher noch einen anderen Ausgang.«
    Yis-fidri ließ den Kopf hängen. »Wir gingen ein Wagnis ein. Zwei Türen zu verbergen schwächt beide, und wir fürchteten uns davor, zu viel von unserer Kunst einzusetzen, wenn das allgemeine Gleichgewicht so ins Wanken geraten ist …«
    »Mutter der Barmherzigkeit!«, rief Miriamel, in der Zorn mit hoffnungslosem Entsetzen kämpfte. »Das heißt, dass wir in der Falle sitzen.« Sie sah auf Binabik. »Möge Gott uns beistehen. Welche Wahl bleibt uns?«
    Der Troll wirkte müde.

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