Der Engelsturm
zusammen und wiederholte seinen Versuch, aber diesmal gelang es ihm nur, einen ganz schwachen Schimmer der Welt hervorzurufen, die er verlassen hatte. Sie verging sofort. Wütend, verzweifelt probierte er es wieder und wieder, aber der Durchbruch wollte nicht gelingen. Endlich versagte sein Wille. Er hatte verloren. Er gehörte der Leere.
Ich bin verloren.
Eine Weile gab es für ihn nur noch ein hohles Gefühl hoffnungsloser Qual.
Er wusste nicht, ob er geschlafen hatte oder in eine andere Sphäre versetzt worden war. Aber als er sich wieder spürte, war er nicht mehr allein. Endlich teilte etwas die Leere mit ihm. Ein einzelner, winziger Lichtfleck leuchtete vor ihm auf wie eine Kerzenflamme im dichten Nebel.
»Leleth? Leleth, bist du das?«
Der Funke bewegte sich nicht. Simon zwang seinen Willen darauf zu.
Anfangs konnte er nicht feststellen, ob er dem Funken näher kam oder ob dieser, wie ein Stern am Horizont, fern und unerreichbar blieb, so weit man auch wandern mochte. Aber obwohl Simon nicht sicher sein konnte, dass der Abstand sich verringerte, begann die Umgebung sich zu verändern. Wo vorher nur luftiges Nichts gewesenwar, gewahrte er jetzt schwache Linien und Formen, die allmählich fester und deutlicher wurden, bis er Bäume und Steine unterscheiden konnte, wenn auch durchsichtig wie Wasser. Er schwebte über einen Hang, aber die Erde unter ihm und die Pflanzen, die darauf wuchsen, waren kaum greifbarer als die Leere, die sich anstelle des Himmels über ihm wölbte. Es war, als bewege er sich durch eine Landschaft aus klarem Glas. Als er vom Weg abkam und gegen einen Felsen stieß, glitt er mühelos hindurch.
Bin ich der Geist, oder ist dieser Ort nur eine Illusion?
Doch, das Licht kam näher. Simon konnte sehen, wie sich sein warmer Glanz ganz leicht im Nebel der Bäume spiegelte, die es umringten. Er schwebte darauf zu.
Der Glanz strahlte vom Rand eines geisterhaften Tals aus, von der Spitze eines durchscheinenden Steinbrockens, der im Arm einer undeutlichen, nebelhaften Gestalt ruhte. Als Simon sich näherte, wandte sie den Kopf. Geist, Engel oder Dämon – sie hatte das Gesicht einer Frau. Sie starrte ihn an, obgleich sie ihn nicht richtig zu sehen schien.
»Wer ist dort?« Die Züge der Schattenfrau bewegten sich nicht, aber Simon war vollkommen klar, dass die Worte von ihr kamen. Ihre Stimme klang beruhigend menschlich.
»Ich. Ich habe mich verirrt.« Simon dachte, wie ihm wohl zumute sein würde, wenn in dieser tödlichen Leere plötzlich ein Fremder vor ihm auftauchte. »Ich will Euch nichts Böses.«
Kleine Wellen schienen über die Gestalt der Frau zu wandern, und das Licht an ihrer Brust leuchtete heller. Simon spürte seine Wärme, die sich in ihm ausbreitete, und fühlte sich seltsam getröstet.
»Ich kenne Euch«, sagte die Frau langsam. »Ihr wart schon einmal bei mir.«
Simon verstand nicht. »Ich heiße Simon. Wer seid Ihr? Und wo sind wir?«
»Mein Name ist Maegwin.« Es klang unsicher. »Und dies ist das Land der Götter. Aber das müsst Ihr doch wissen? Ihr wart ihr Bote.«
Simon hatte keine Ahnung, was sie meinte, aber er sehnte sich verzweifelt nach der Gesellschaft eines anderen Wesens. »Ich habemich verirrt«, wiederholte er. »Darf ich hierbleiben und mit Euch sprechen?« Irgendwie kam es ihm wichtig vor, ihre Erlaubnis dazu zu erhalten.
»Natürlich«, antwortete sie, aber die Unsicherheit war nicht aus ihrer Stimme gewichen. »Bitte – Ihr seid willkommen.«
Vorübergehend sah er sie deutlicher. Ihr trauriges Gesicht wurde von dichtem Haar und der Kapuze eines langen Mantels umrahmt. »Ihr seid sehr schön«, sagte er staunend.
Maegwin lachte; Simon fühlte es mehr, als dass er es hörte.
»Falls ich es vergessen hätte, habt Ihr mich jetzt daran erinnert, dass ich von meinem früheren Leben weit entfernt bin.« Eine Pause. Das glänzende Licht pulsierte. »Ihr sagt, Ihr hättet Euch verirrt?«
»Ja. Es ist schwer zu erklären, aber eigentlich bin ich gar nicht hier – das heißt, der Rest von mir ist es nicht.« Er überlegte, ob er ihr mehr erzählen sollte, zögerte aber, selbst dieser melancholischen, harmlos erscheinenden Geistererscheinung mehr von sich preiszugeben. »Warum seid Ihr hier?«
»Ich warte.« Maegwins Stimme klang bedauernd. »Ich weiß nicht, auf wen oder worauf ich warte, aber ich weiß, dass es so ist.«
Eine Weile schwiegen sie. Unter ihnen schimmerte das Tal, durchsichtig wie Dunst.
»Es kommt mir alles so weit weg vor«,
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