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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Grafen und seinem Besuch zu erzählen.
    Simon sprach von Aditu und von dem, was die Sitha von den Kindern der Morgendämmerung und ihrem Ritt nach Hernystir berichtet hatte. Da brach Maegwin von neuem in Tränen aus.
    »Mircha im Regenkleid! Es ist, wie ich befürchtet habe. Ich habe durch meinen Wahn um ein Haar mein ganzes Volk ausgerottet. Ich bin gar nicht gestorben!«
    »Erklärt Euch näher.« Simon beugte sich zu ihr und wärmte sich an ihrem Glühen. Es machte die seltsame, gespenstische Landschaft ein wenig freundlicher. »Ihr seid nicht gestorben?«
    Nun begann die Schattenfrau ihm ihrerseits ihr Leben zu erzählen. Mit wachsender Verwunderung stellte Simon fest, dass er sie tatsächlich kannte, auch wenn er ihr nie begegnet war. Sie war Lluths Tochter, die Schwester Gwythinns von Hernystir, den Simon in Josuas Rat in Naglimund gesehen hatte.
    Ihre Lebensgeschichte und das, was sie ihm sonst noch über ihre Träume, Missverständnisse und Unfälle erzählte, dazu das, was sie gemeinsam aus Bruchstücken und Vermutungen zusammenfügten, waren in der Tat erschütternd. Simon, der einen großen Teil seiner Zeit auf dem Rad mit Anfällen von wütendem Selbstmitleid verbracht hatte, fühlte sich von Maegwins Verlusten zutiefst betroffen – ihr Vater, ihr Bruder, selbst Heimat und Vaterland waren ihr auf eine Weise entrissen worden, wie nicht einmal er es erlebt hatte, so übel es ihm auch ergangen war. Und die grausamen Streiche, die ihr das Schicksal gespielt hatte! Kein Wunder, dass sie den Verstand verloren und sich für tot gehalten hatte. Sie tat ihm unendlich leid.
    Als Maegwin geendet hatte, versank das Geistertal erneut in tiefem Schweigen.
    »Aber was tut Ihr dann hier?«, fragte Simon endlich.
    »Ich weiß nicht. Ich wurde nicht hierhergeführt wie Ihr. Aber nachdem ich den Geist dieses Wesens in – wie ich glaubte – Scadach, also Naglimund, berührt hatte, befand ich mich eine Zeitlang überhaupt an keinem Ort. Dann erwachte ich hier, in diesem Land, und wusste, dass ich wartete.« Sie stockte. »Vielleicht sollte ich ja auf Euch warten.«
    »Aber warum?«
    »Das weiß ich nicht. Doch scheint es, als kämpften wir den gleichen Kampf, oder vielmehr, als hätten wir ihn gekämpft, denn es sieht nicht so aus, als ob einer von uns je wieder von hier wegkäme.«
    Simon dachte nach. »Dieses Wesen … dieses Wesen in Naglimund. Wie war es? Was hattet Ihr … für ein Gefühl, als Ihr seine Gedanken gestreift habt?«
    Maegwin suchte nach einer Erklärung. »Es … es brannte. Ihm so nahe zu kommen, war, als steckte ich mein Gesicht in die Tür eines Brennofens – ich hatte Angst, es würde mein Innerstes versengen. Ich fühlte keine Worte wie von Euch, sondern … nur Hass – ein Hass auf die Lebenden. Und die Sehnsucht nach dem Tod, nach Erlösung, fast ebenso stark wie die Gier nach Rache.« Sie seufzte traurig, und ihr Licht wurde einen Augenblick trübe. »Da machte ich mir auch zum ersten Mal Sorgen um mich selbst, denn ich empfand die gleiche Todessehnsucht; und wenn ich schon tot war, wie konnte ich mir dann so inbrünstig wünschen, vom Leben erlöst zu werden?« Sie lachte, ein bittersüßer Hauch, der Simon bis ins Mark drang. »Mirena behüte mich! Wenn man uns zuhörte! Selbst nach allem, was geschehen ist, lieber Fremder, ist dies ein Wahnsinn, den keiner begreifen kann. Dass Ihr und ich uns an diesem Ort begegnen, diesem Moiheneg«, sie benutzte einen Hernystiri-Ausdruck, den Simon nicht kannte, »und über unser Leben sprechen, obwohl wir gar nicht wissen, ob wir überhaupt noch am Leben sind!«
    »Wir sind aus der Welt hinausgetreten«, antwortete Simon, und auf einmal kam ihm alles ganz anders vor. Er spürte, wie sich eine gewisse Ruhe über ihn senkte. »Vielleicht hat man uns damit ein Geschenk gemacht. Man hat uns gestattet, die Welt für eine Weile hinter uns zu lassen. Wir dürfen uns ausruhen.« Tatsächlich fühlte er sich auf einmal sich selbst näher als in der ganzen Zeit, seit er durch das Erdloch in Johans Grabhügel gefallen war. Die Begegnung mit Maegwin hatte dazu beigetragen, dass er sich wieder als Mensch empfand.
    »Ausruhen? Ihr vielleicht, Simon – und es würde mich für Euch freuen. Aber ich sehe nur, wie ich mein Leben zum Narrenstreich gemacht habe, und bin traurig darüber.«
    »Habt Ihr noch etwas anderes von dem … dem brennenden Wesen erfahren?« Er gab sich große Mühe, sie abzulenken. Ihren Schmerz über die eigenen Fehler schien sie nur mühsam

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