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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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meinte Simon endlich.
    »Alles, was mir früher so wichtig schien.«
    »Wenn Ihr hinhört«, sagte Maegwin, »könnt Ihr die Musik vernehmen.«
    Simon lauschte, aber er hörte nicht einen einzigen Ton. Das war an sich schon erstaunlich, und einen Augenblick war er ganz bestürzt. Da war gar nichts – kein Wind, kein Vogelgezwitscher, kein leises Stimmengemurmel, nicht einmal das gedämpfte Pochen seines eigenen Herzens. Nie hätte er sich eine so vollständige Ruhe, einen so tiefen Frieden vorstellen können. Nach allem Irrsinn und Aufruhr seines Lebens schien er am stillen Mittelpunkt der Dinge angekommen zu sein.
    »Ich habe ein wenig Angst vor diesem Ort«, gestand er.
    »Ich fürchte, wenn ich zu lange hierbleibe, werde ich gar nicht mehr in mein altes Leben zurückwollen.«
    Er konnte Maegwins Überraschung fühlen. »Euer Leben? Seid Ihr denn nicht längst tot? Als Ihr das erste Mal zu mir kamt, hielt ich Euch für einen Helden aus alter Zeit.« Sie gab ein schmerzliches Stöhnen von sich. »Was habe ich getan! Kann es sein, dass Ihr gar nicht wusstet, dass Ihr tot seid?«
    »Tot?« Schreck und Zorn und nicht geringes Entsetzen stürmten auf ihn ein. »Ich bin nicht tot! Ich lebe noch, ich kann nur nicht in meinen Körper zurück. Aber ich lebe.«
    »Aber was tut Ihr dann hier bei mir?« Die Stimme hatte einen ganz eigentümlichen Unterton.
    »Das weiß ich nicht, aber jedenfalls bin ich am Leben.« Und obwohl er das sagte, um sich gegen die eigene, jähe Furcht zu wehren, wusste er doch zugleich, dass es wahr war. Bande, die zwar locker geworden, aber nach wie vor vollkommen wirklich waren, knüpften ihn an die wachende Welt und seinen verlorenen Körper.
    »Aber hierher kommen doch nur die Toten? Die Toten, wie ich?«
    »Nein. Die Toten bleiben nicht hier.« Er dachte daran, wie Leleth davongeflogen war und wusste, dass er recht hatte. »Dies ist ein Ort des Wartens – ein Dazwischen. Die Toten gehen noch weiter.«
    »Aber wie ist das möglich, wenn ich doch …« Maegwin verstummte plötzlich.
    Simon empfand noch immer Furcht und Zorn, spürte aber auch, dass die Flamme seines Lebens noch in ihm brannte, eine Flamme, die zwar ermattet, aber nicht erloschen war. Das tröstete ihn. Er wusste, dass er lebte. Es war das Einzige, woran er sich klammern konnte, aber es war zugleich alles.
    Neben ihm ging etwas Seltsames vor. Maegwin weinte, nicht mit Tönen, sondern mit heftigen, krampfhaften Bewegungen, die ihr ganzes Wesen erschütterten, bis es sich aufzulösen drohte wie Rauch im Wind.
    »Was ist mit Euch?« So sonderbar und beunruhigend das alles war, wollte er sie doch nicht verlieren, aber sie war erschreckend durchsichtig geworden. Selbst das Licht in ihrer Hand schimmerte schwächer. »Maegwin? Warum weint Ihr?«
    »Weil ich eine Närrin gewesen bin«, klagte sie. »Oh, was für eine Närrin!«
    »Was meint Ihr?« Er wollte sie berühren, ihre Hand nehmen, aber er konnte nicht zu ihr kommen. Ein Blick nach unten zeigte ihm dort, wo sein Körper hätte sein müssen, nur Leere. Merkwürdigerweise kam ihm das an diesem Traumort gar nicht so schrecklich vor. Er fragte sich, wie Maegwin ihn sah. »Warum seid Ihr eine Närrin gewesen?«
    »Weil ich dachte, ich wüsste alles. Weil ich glaubte, selbst die Götter warteten auf meine Taten.«
    »Ich verstehe Euch nicht.«
    Lange gab sie keine Antwort, und er fühlte, wie ihr Kummer in großen Wellen durch ihn hindurchflutete, mal wütend, dann wieder klagend. »Ich will es Euch erklären, aber erst sagt mir, wer Ihr seid und wie Ihr hierherkommt. Ach! Die Götter, die Götter!« Ihr Leid drohte sie von neuem zu überwältigen. »Ich habe mir zu viel angemaßt. Viel zu viel.«
    Simon erfüllte ihren Wunsch, zuerst langsam und zögernd, dann immer lebhafter, als ihm seine Vergangenheit Stück für Stück wieder einfiel. Überrascht stellte er fest, dass er sich an Namen erinnerte, die eben noch neblige Löcher in seinem Gedächtnis gewesen waren.
    Maegwin unterbrach ihn nicht, wurde aber im Lauf seiner Erzählung wieder etwas deutlicher sichtbar. Er konnte sie gut erkennen, die hellen, waidwunden Augen, die fest aufeinandergepressten Lippen, die nicht zittern sollten. Er fragte sich, wer sie wohl geliebt hatte, denn sie war ohne Zweifel eine Frau, die man lieben konnte. Wer trauerte um sie?
    Als er den Sesuad’ra und den Auftrag erwähnte, der Graf Eolair von Hernystir dorthin geführt hatte, brach sie zum ersten Mal ihr Schweigen und bat ihn, ihr mehr von dem

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