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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hin und her, um sich zu befreien. Vergeblich langte er hinter sich und schlug mit der Faust auf die hölzerne Schaufel ein. Das Rad trug ihn hinauf zum Scheitelpunkt seiner Umdrehung. Dort griff Inch nach den großen Ketten, die sich um die Achse schlangen und oben im Dunkel der Höhlendecke verschwanden. Seine breiten Hände packten die glitschigen Glieder und klammerten sich daran fest. Als sie ihn vom Rad weg und nach oben zogen, streckte sich sein Körper einen Augenblick bis fast zum Zerreißen. Dann platzte seine Gürtelschnalle, und er rutschte von der Schaufel. Mit Armen und Beinen hing er an der dicken Kette.
    Noch immer brachte er keine zusammenhängenden Worte heraus, aber sein lautes Wüten verwandelte sich in triumphierendes Gebrüll, als die Ketten ihn langsam aufwärts beförderten. Er schwang sich weit über das Rad hinaus, um abzuspringen und seitlich davon im Wasser zu landen. Dann ließ er los. Aber er war erst ein kleines Stück gefallen, als er plötzlich umkippte. Er krachte gegen die Kette und baumelte kopfüber nach unten. Sein Fuß wardurch eines der breiten, öligen Kettenglieder gerutscht und steckte darin fest.
    Der Aufseher schlug um sich und versuchte, sich an der Kette hochzuziehen, um seinen Fuß zu befreien. Heulend und schreiend riss er sich das Bein blutig, konnte aber seinen schweren Körper nicht weit genug nach oben bringen. Die Kette trug ihn hinauf in unsichtbare Höhen.
    Als er dort in den Schatten verschwand, wurden die Schreie leiser. Dann hallte ein entsetzliches, qualvolles Aufbrüllen herunter, ein heiseres Gurgeln, an dem nichts Menschliches mehr war. Das Rad stockte mitten in der Umdrehung und schlingerte einen Augenblick hin und her, als die Strömung gegen die festgefahrenen Schaufelblätter drückte. Dann drehte es sich weiter und presste damit das Hindernis durch die riesigen, knirschenden Zahnräder, die Pryrates’ Turmspitze drehten. Eine dunkle Flüssigkeit rieselte herunter wie Regen. Festere Brocken fielen klatschend in und neben die Rinne.
    Wenig später senkte sich das, was von Inch noch übrig war, langsam ins Licht, auf die gewaltige Kette gewickelt wie Fleisch um einen Bratspieß.
    Simon stierte es stumpfsinnig an, krümmte sich und würgte, aber sein leerer Magen konnte nichts von sich geben.
    Jemand strich ihm über den Kopf. »Lauf jetzt weg, Junge, wenn du weißt, wohin. Der rote Priester wird bald hier sein. Sein Turm hat ziemlich lange stillgestanden, als das Rad oben war.«
    Simon schielte in die schwarzen Flecke, die ihm vor Augen tanzten, und strengte sich an, alles zu begreifen. »Stanhelm«, keuchte er, »komm mit.«
    »Kann nicht. Nichts mehr übrig von mir.« Er deutete mit dem Kinn auf seine verkrüppelten, schlecht verheilten Beine. »Ich und die andern kümmern uns drum, dass alle das Maul halten. Wir sagen, dass es ein Unfall war. Die Soldaten des Königs tun uns schon nichts, die brauchen uns. Aber du musst fliehen. Hast nie hierher gehört.«
    »Niemand gehört hierher«, schnaufte Simon. »Eines Tages komme ich dich holen.«
    »Werd nicht mehr da sein.« Stanhelm wandte sich ab. »Schnell jetzt.«
    Simon rappelte sich auf und stolperte auf die Wasserrinne zu. Bei jedem Schritt durchbohrten ihn Schmerzen wie spitze Pfeile. Zwei Schmiedeknechte hatten Guthwulf aus dem Wasser geholt; er lag auf dem Boden und rang nach Luft. Seine Retter starrten ihn an, kümmerten sich aber nicht weiter um ihn. Sie wirkten sonderbar träge und langsam, wie Fische in einem winterlichen Teich.
    Simon bückte sich und zog Guthwulf am Arm. Der letzte Rest von Maegwins Kraft war fast verbraucht.
    »Guthwulf! Könnt Ihr aufstehen?«
    Der Graf fuchtelte mit den Händen. »Wo ist es? Gott steh mir bei, wo ist es?«
    »Wo ist was? Inch ist tot. Steht auf, schnell! Wohin sollen wir gehen?«
    Der blinde Mann würgte und spie Wasser. »Kann nicht fort! Nicht ohne …« Er rollte sich auf die Seite und kam mühsam auf Hände und Knie, um dann in der Erde neben der Wasserrinne herumzuwühlen und zu kratzen, als wolle er ein Loch graben.
    »Was tut Ihr?«
    »Kann es nicht hierlassen. Muss sonst sterben. Kann es nicht hierlassen.« Plötzlich stieß er einen tierischen Freudenschrei aus. »Da!«
    »Guthwulf! Bei Ädons Barmherzigkeit, Pryrates kann jeden Augenblick hier sein!«
    Guthwulf wankte ein paar Schritte und hielt dabei etwas hoch, in dem sich ein gelber Streifen Fackelschein spiegelte. »Ich hätte es nie herbringen sollen«, plapperte er. »Aber ich brauchte

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