Der Engelsturm
Feuer setzen.«
»Ich werde es überstehen.«
Jiriki nickte langsam. »Es waren die Unterirdischen, die Maegwin diesen Stein gegeben haben, nicht wahr? Die, die Ihr Dornhaini nennt?«
»Er war ein Geschenk der Unterirdischen, ja.«
»Er hatte viel Ähnlichkeit mit dem großen Stein, den Ihr und ichin Mezutu’a unter dem Berg gesehen haben – dem Scherben, der ein Meisterzeuge war. Als ich diesen kleinen Stein berührte, konnte ich einen großen Teil von Maegwins Gedanken lesen.«
Die Vorstellung, dass der Unsterbliche Maegwins letzte Minuten mit ihr geteilt hatte, auf eine Art, die ihm selbst verschlossen blieb, beunruhigte Eolair. »Und Ihr könntet diese Gedanken nicht einfach vergessen – sie unausgesprochen mit ihr in den Hügel ziehen lassen?«
Der Sitha zauderte. »Ich bin in einer schwierigen Lage. Ich möchte Euch nichts aufzwingen, aber ich meine, dass Ihr davon wissen solltet.« Er legte Eolair die langen Finger auf den Arm. »Ich bin nicht Euer Feind, Eolair. Wir alle sind ein Spielball der Launen einer wahnsinnigen Macht.« Er ließ die Hand sinken. »Ich kann nicht behaupten, alles zu wissen, was sie empfunden oder gedacht hat. Die Wege der Traumstraße – der Pfad, den die Zeugen für uns öffnen – sind neuerdings sehr verwirrend und gefährlich. Ihr erinnert Euch, was geschah, als ich den Scherben berührte. Ich hatte wenig Lust dazu, mich überhaupt auf die Anderen Pfade zu wagen, aber ich dachte, wenn ich nur irgendwie helfen könnte, sollte ich es versuchen.«
Bei einem Menschen hätte Eolair es für Eigenlob gehalten, aber es war etwas an dem Sitha, das von fast beängstigender Aufrichtigkeit zeugte. Eolair merkte, wie seine Verbitterung ein wenig nachließ.
»Im Durcheinander ihrer Gedanken und Gefühle«, fuhr Jiriki fort, »bemerkte ich zweierlei, dessen ich zumindest einigermaßen sicher bin. Erstens glaube ich, dass sie ihr Wahnsinn am Ende verließ. Ich habe die Maegwin, die Ihr kanntet, nicht erlebt, darum kann ich nicht jeden Zweifel ausschließen, aber ihre Gedanken schienen klar und ungetrübt. Sie dachte an Euch, das habe ich sehr stark empfunden.«
Eolair trat einen Schritt zurück. »Wirklich? Ihr sagt das nicht, um mich zu beruhigen, wie Eltern zu einem kleinen Kind sprechen?«
Das glatte Gesicht des Sitha verriet Erstaunen. »Meint Ihr, dass ich Euch etwas sage, das nicht wahr ist? Absichtlich? Nein, Eolair. Das ist nicht unser Weg.«
»Sie dachte an mich? Die Arme. Und ich konnte nichts für sie tun.« Er merkte, wie ihm von neuem die Tränen kamen, gab sichaber keine Mühe, sie zu unterdrücken. »Ihr erweist mir mit Euren Worten keine Gunst, Jiriki.«
»Das war auch nicht mein Wunsch, aber es geht um Dinge, die zu erfahren Euer Recht ist. Nun aber muss ich Euch etwas fragen. Es gibt einen Jungen namens Seoman, der zu Josuas Leuten gehört. Kennt Ihr ihn? Und noch wichtiger, kannte Maegwin ihn?«
»Seoman?« Eolair wunderte sich über die plötzliche Abschweifung. Er überlegte. »Da gab es einen jungen Ritter namens Simon, hoch aufgeschossen, rothaarig – meint Ihr ihn? Mir ist, als hätte ich gehört, dass er auch Herr Seoman genannt wurde.«
»Der ist es.«
»Ich möchte stark bezweifeln, dass Maegwin ihn kannte. Sie war niemals in Erkynland, und ich glaube, der junge Mann hat dort gelebt, ehe er fortlief, um in Josuas Dienste zu treten. Warum? Ich verstehe den Zusammenhang nicht.«
»Ich auch nicht. Und ich fürchte das, was es vielleicht bedeutet. Aber es kam mir vor, als dächte Maegwin in ihren letzten Augenblicken auch an den jungen Seoman, fast als hätte sie ihn gesehen oder mit ihm gesprochen.« Er runzelte die Stirn. »Es ist unser Unglück, dass die Traumstraße jetzt so undeutlich und schwer zu enträtseln ist. Ich brauchte meine ganze Kraft, um diese wenigen Eindrücke zu gewinnen. Aber in Asu’a – auf dem Hochhorst – geht etwas vor, und Seoman muss sich dort befinden. Ich habe Angst um ihn, Graf Eolair. Mir liegt … viel an ihm.«
»Aber Ihr wollt doch ohnehin zum Hochhorst. Es müsste sich günstig treffen.« Eolair wollte sich nicht darüber den Kopf zerbrechen. »Ich wünsche Euch viel Glück; hoffentlich findet Ihr ihn.«
»Und Ihr? Selbst wenn Seoman Maegwin etwas bedeutete? Selbst wenn sie ihm eine Botschaft mit auf den Weg gegeben hat – oder er ihr?«
»Es spielt keine Rolle mehr für mich, und für sie auch nicht. Ich werde sie nach Hernystir zurückbringen, um sie bei ihrem Vater und Bruder auf dem Berg zu begraben. Beim
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