Der Engelsturm
fügte er noch hinzu: »Danke, Guthwulf. Es tut mir leid, Euch das Schwert wegzunehmen, aber ich will versuchen, mit seiner Hilfe zu tun, was getan werden muss.«
Er schlug das Zeichen des Baumes und hoffte, dass Gott es trotzder Dunkelheit sehen und deshalb auf Guthwulf achten würde, wenn der Graf endlich vor ihn trat. Dann zog er Kleidung und Stiefel des Grafen an. Noch vor einem Jahr hätte er es sich möglicherweise zweimal überlegt, bevor er in die Sachen eines gerade Verstorbenen geschlüpft wäre; aber inzwischen war Simon selbst dem Tod so nahe gewesen, dass er ganz nüchtern darüber dachte. Hier in der Höhle war es warm und sicher, aber woher sollte er wissen, welche kalten Winde und scharfen Steine ihn draußen erwarteten?
Als er die letzten Tropfen aus der Wasserschüssel trank, stieß die Katze wieder gegen sein Bein. »Du kannst mitkommen oder hierbleiben«, sagte er zu ihr, »ganz nach Belieben.« Er hob Hellnagel auf, umwickelte die Klinge gleich unterhalb des Hefts mit einem Lappen und band sie dann mit dem Gürtel des Grafen, der keine Schnalle hatte, so um seine Mitte, dass die Hände frei blieben. Es fühlte sich erstaunlich gut an, Hellnagel wieder an seiner Hüfte zu spüren.
Als er sich zum Eingang der Höhle vortastete, lief ihm die Katze vor die Füße und wand sich um seine Knöchel. »Lass das«, warnte Simon, »ich werde sonst noch fallen.«
Er ging ein kleines Stück in den Tunnel hinaus, aber wieder schob sich das Tier zwischen seine Beine, sodass er stolperte. Er wollte nach ihr greifen und lachte hohl auf, weil er so dumm war, im Stockfinsteren eine Katze fangen zu wollen. Die Katze bewegte sich unter seiner Hand und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Simon blieb stehen.
»Hier entlang, nicht dort entlang?«, fragte er laut, zuckte dann die Achseln und lachte wieder. Trotz des Grauens, das hinter ihm und wahrscheinlich auch vor ihm lag, fühlte er sich eigentümlich leicht und frei. »Also gut, ich werde dir eine Weile folgen – damit ich nachher wohl vor dem größten Rattenloch von Osten Ard sitze.«
Die Katze stupste ihn an und lief dann voraus, den Tunnel hinauf. Simon tastete sich an den Wänden hinter ihr her. Um ihn herum war nichts als Finsternis.
Yis-hadra blieb am Fuß der Treppe stehen und klingelte ihrem Gatten besorgt etwas zu. Yis-fidri antwortete, und die beiden bückten sich und untersuchten das geborstene Steingeländer.
»Das ist der Ort«, erklärte Yis-fidri. »Wenn ihr diesen Stufen nach oben folgt, kommt ihr schließlich in die Burg der Sterblichen, die über dieser hier errichtet ist.«
»Wo?«, fragte Miriamel. Sie ließ Bogen und Reisesack auf den Boden fallen und sackte gegen den Stein. »Ich meine – wo in der Burg werden wir herauskommen?«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Yis-hadra. »Es ist alles nach unserer Zeit erbaut worden. Kein Tinukeda hat diese Steine je berührt.«
»Und ihr? Wohin wollt ihr gehen?« Sie blickte nach oben in den Treppenschacht. Er wendelte sich hoch über das matte Licht der Stäbe hinaus und verschwand im Dunkel.
»Wir werden uns eine andere Bleibe suchen.« Yis-fidri sah seine Gattin an. »Es sind nur noch wenige von uns übrig, aber es gibt auch jetzt noch Orte, an denen unsere Hände und Augen willkommen sind.«
»Zeit ist es für unser Gehen«, drängte Binabik. »Wer kann sagen, wie weit die Nornen noch hinter uns sind.«
»Warum kommt ihr nicht mit?«, fragte Miriamel die Unterirdischen. »Ihr seid stark, und wir können eure Stärke gebrauchen. Ihr wisst doch jetzt, dass unser Kampf auch der eure ist.«
Yis-fidri schauderte und hob abwehrend die langen Hände. »Verstehst du denn immer noch nicht? Wir gehören nicht in das Licht, nicht in die Welt der Sudhoda’ya. Ihr habt uns bereits verändert; wir haben Dinge getan, die sonst kein Tinukeda tut. Wir haben … wir haben einige von denen getötet, die einmal unsere Herren waren.« Er murmelte etwas in der Unterirdischensprache, und Yis-hadra und die anderen Überlebenden seines Volkes fielen traurig ein. »Wir werden lange brauchen, bis wir uns damit abgefunden haben. Wir passen nicht in die Welt dort oben. Lasst uns gehen, damit wir das Dunkel und die Tiefen finden, nach denen wir uns sehnen.«
Binabik, der während des letzten Abschnitts ihrer Flucht langemit Yis-fidri gesprochen hatte, trat auf ihn zu und streckte ihm die kleine Hand entgegen. »Ich wünsche euch, dass ihr Sicherheit findet.« Der Unterirdische betrachtete ihn einen
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