Der Engelsturm
Augenblick verständnislos, breitete dann langsam die dünnen Spinnenfinger aus und schloss sie um die Hand des Trolls. »Das wünsche ich euch auch. Ich will euch meine Gedanken nicht sagen, denn sie sind voller Furcht und Trauer.«
Miriamel unterdrückte eine Erwiderung. Die Unterirdischen wollten fort. Sie hatten das Versprechen erfüllt, das sie ihnen abgerungen hatte. Schon jetzt waren sie verängstigt und unglücklich, vielleicht wären sie über der Erde tatsächlich nutzlos, eher Last als Hilfe. »Leb wohl, Yis-fidri, und danke für alles«, sagte sie und wandte sich dann zu seiner Gattin: »Auch dir danke ich, Yis-hadra, besonders dafür, dass du mir gezeigt hast, wie du den Stein hegst.«
Die Unterirdische nickte mit dem Kopf. »Leb auch du wohl.«
Im selben Moment flackerten die Lichter der Stäbe, und der unterirdische Raum schien sich zu verschieben, ein neues Erdbeben ohne Bewegung. Gleich darauf war alles wieder wie vorher. Die Unterirdischen begannen zu tuscheln.
»Wir müssen jetzt gehen«, sagte Yis-hadra, die dunklen Augen weit vor Furcht. Sie und ihr Gatte machten kehrt und führten ihre Schar schlurfender, spindelbeiniger Verwandter fort, hinein in die Schatten. Sekunden später war der Gang leer, als hätte es sie nie gegeben. Miriamel blinzelte.
»Wir müssen ebenfalls aufbrechen.« Binabik betrat die erste Stufe, drehte sich aber gleich wieder um. »Wo ist der Mönch?«
Miriamel sah nach hinten. Cadrach, der hinter der Gruppe der Unterirdischen gestanden hatte, saß mit halbgeschlossenen Augen auf der Erde. Im Schein von Binabiks flackernder Fackel schien er zu schwanken.
»Er ist einfach zu nichts gut.« Miriamel bückte sich nach ihren Sachen. »Wir sollten ihn hierlassen. Wenn er will, kann er ja nachkommen.«
Binabik musterte sie stirnrunzelnd. »Hilf ihm, Miriamel. Sonst ist er dem Auffinden der Nornen ausgeliefert.«
Sie überlegte kurz, ob der Mönch nicht genau das verdiente,zuckte aber dann die Achseln und ging zu ihm. Sie zog an seinem Ärmel, bis er langsam auf die Füße kam.
»Wir wollen gehen.«
Cadrach sah sie an. »Ah«, sagte er und folgte ihr die uralte Treppe hinauf.
Als die Schar der Sithi sie immer tiefer in die Gänge unter dem Hochhorst führte, blickten sich Tiamak und Josua so erstaunt um wie Seenlandbauern beim ersten Besuch in Nabban.
»Was für ein Schatzhaus!«, flüsterte Josua. »Und wenn ich bedenke, dass das alles unter meinen Füßen lag – in den vielen Jahren, die ich hier gelebt habe! Am liebsten würde ich hier unten bleiben, um alles zu erforschen und zu studieren …«
Auch Tiamak war überwältigt. Die rohen Gänge der äußeren Tunnel waren einer verfallenen Pracht gewichen, die er sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können. Da gab es ungeheure Hallen, sorgfältig aus dem gewachsenen Fels gehauen, jede freie Fläche ein wundervoll fein gearbeiteter Teppich; scheinbar endlose Treppen, dünn und schön wie Spinnweben, die sich in dunkle Schatten ringelten oder über schwarzer Leere dehnten; ganze Säle, die wie Waldlichtungen oder Berghänge mit Wasserfällen aussahen und doch aus massivem Gestein bestand. Noch als bröckelnde Ruine war das große Asu’a atemberaubend.
Ihr-die-wacht-und-gestaltet, dachte Tiamak, diesen Ort sehen zu dürfen war alle meine Leiden wert. Mein lahmes Bein, die Zeit im Ghantnest – ich würde sie nicht eintauschen, wenn ich dafür auf die Erinnerung an diese Stunden verzichten müsste.
Während sie ihren Weg durch staubige Nebengänge fortsetzten, riss Tiamak seine Augen ab und zu von den Wundern ringsum los, um das seltsame Benehmen seiner Sithigefährten zu beobachten. Als Likimeya und die anderen endlich anhielten – in einem hochgewölbten Saal, dessen Bogenfenster von Erde und Geröll verstopft waren –, um den Sterblichen eine Ruhepause zu gönnen, setzte sich Tiamak neben Aditu.
»Verzeiht mir, wenn meine Frage unhöflich ist«, bat er leise, »aber trauert Euer Volk um seine alte Heimat? Ihr scheint so … zerstreut.«
Aditu bog den anmutigen Hals und neigte den Kopf. »In gewisser Weise, ja. Es ist traurig, all das Schöne, das unser Volk gebaut hat, in diesem Zustand zu sehen; und für die, die damals hier gelebt haben«, sie vollführte eine komplizierte Geste, »ist es noch trauriger. Erinnert Ihr Euch an die Halle mit den großen, blumengleich geschnittenen Stufen – die Halle der Fünf Treppen, wie wir sie nennen?«
»Wir waren lange dort«, erwiderte Tiamak, der
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