Der Engelsturm
Asu’a.«
»Na und? Drückt Euch doch deutlich aus, verdammt!« Isgrimnur war wie ein wütender Stier. »Mein Sohn steckt da drinnen in der Falle, und er hat nur ein paar Männer. Wir müssen das neue Tor sprengen und ihm zu Hilfe kommen!«
»Und ich meine, Ihr solltet …«, begann Strangyeard und wurde sogleich von lauter Schreckensrufen unterbrochen. Diesmal allerdings ertönten sie im Rücken des Herzogs.
»Sie kommen von Erchester herauf!«, schrie ein Berittener.
»Seht doch! Es sind die Weißfüchse!«
»Ich meine, Ihr solltet auf Euren Rücken achten … das wollte ich sagen.« Strangyeard schüttelte den Kopf. »Wenn wir unter den Mauern durchschlüpfen konnten, dann konnten sie es auch.«
Obwohl es fast dunkel war, erkannten sie, dass das Heer, das durch die Mittelgasse von Erchester zog, nicht menschlich war. Im trüben Licht schimmerten weiße Gesichter. Weiße Hände hielten lange, scharfe Speere. Als sie sich entdeckt sahen und keine Heimlichkeit mehr nötig war, fingen die Nornen an zu singen, ein triumphierender Gesang, der Isgrimnur schmerzlich in den Ohren gellte.
Der Herzog gestattete sich einen Augenblick tiefster Verzweiflung. »Möge der Erlöser uns beistehen! Wir stecken in der Schlingewie ein Hase.« Er klopfte dem Priester in stummer Anerkennung auf den Rücken und trat in die Mitte der Plattform. »Zu mir, Männer Josuas! Zu mir!«
Dann winkte er Jeremias, ihm sein Pferd zu bringen.
Die Nornen kamen singend die Mittelgasse herauf.
30
Am Teich
inauf zum Baum …«, murmelte Guthwulf. Sein Gesicht unter Simons Hand war heiß wie ein Ofen und glitschig von Schweiß. »Zum lodernden Baum … dahin will es …«
Dem Grafen ging es schlechter, und Simon wusste nicht, wie er ihm helfen konnte. Von seinen eigenen Verletzungen immer noch stark beeinträchtigt, verstand er fast nichts von Heilkunst und steckte außerdem in einer stockfinsteren Höhle, in der es nichts gab, womit er Guthwulfs Fieber hätte lindern können. Weil er sich undeutlich erinnerte, dass Fieber sich ausbrennen sollte, hatte er den kranken Grafen mit den am Boden herumliegenden Lumpen zugedeckt, aber er kam sich dabei wie ein Verräter vor, der warme Sachen auf jemanden legte, der vor lauter Hitze schon in Flammen stand.
Hilflos setzte er sich wieder neben Guthwulf, lauschte seinen wirren Reden und betete, der Graf möge nicht sterben. Die Schwärze presste sich auf ihn wie die erdrückenden Tiefen des Meeres, erstickte ihn, erschwerte ihm das Denken. Er versuchte sich abzulenken, indem er sich an Dinge und Orte erinnerte, die er gesehen hatte. Am meisten sehnte er sich danach, etwas zu tun, aber im Augenblick blieb wohl nichts anderes übrig, als zu warten. Er wollte nicht wieder allein und verloren durch leere Gänge irren.
Etwas berührte sein Bein, und Simon griff danach, weil er dachte, dass Guthwulf in seinem Elend vielleicht eine Hand suchte, die er halten könnte. Stattdessen strichen seine Finger über etwas Warmes, Pelziges. Vor Überraschung stieß er einen Schrei aus und fuhr zurück, denn er rechnete damit, von Ratten oder Schlimmerem belästigt zu werden. Als keine weitere Berührung folgte, kauerte ersich zusammen und blieb lange Zeit an die Wand gedrückt sitzen. Dann aber siegte das Gefühl der Verantwortung für Guthwulf, und er schob sich vorsichtig wieder an den Grafen heran. Er überwand seinen Ekel und tastete umher, bis er das pelzige Geschöpf wiederfand. Es wich zurück, wie er es auch getan hatte, lief aber nicht fort. Es war eine Katze.
Simon lachte atemlos, streckte den Arm aus und streichelte das Tier. Es machte unter seiner Hand einen Buckel, wollte aber nicht zu ihm kommen. Es schmiegte sich an den Blinden, und schon bald wurden Guthwulfs Bewegungen ruhiger, und sein Atem ging leiser. Die Gegenwart der Katze schien ihn zu besänftigen. Auch Simon fühlte sich nicht mehr ganz so allein und nahm sich vor, sorgfältig aufzupassen, damit er das Tier nicht verscheuchte. Er brach ein Stückchen vom Rest des Brotkantens ab und bot der Katze eine Kostprobe an. Sie schnüffelte daran, nahm aber nichts. Simon aß ein paar Happen und versuchte es sich dann zum Schlafen bequem zu machen.
Als er aufwachte, wusste er instinktiv, dass etwas geschehen war. Er konnte in der Dunkelheit zwar keine Veränderung feststellen, wurde aber das Gefühl nicht los, dass sich die Welt auf merkwürdige Weise verschoben hatte und er sich auf einmal an einem ganz anderen Ort befand, ohne dass er wusste, wie
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