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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sich erinnerte.
    »Dort starb die Mutter meiner Mutter, Briseyu Morgenrotfeder.«
    Der Marschmann dachte daran, wie Likimeya mit ausdruckslosem Gesicht in der Mitte des riesigen Raums gestanden hatte. Wer kannte sich aus mit diesen Unsterblichen?
    »Aber das ist nicht der Hauptgrund dafür, dass wir, wie Ihr sagt, zerstreut sind«, fuhr Aditu fort. »Es sind … Erscheinungen hier. Dinge, die nicht sein sollten.«
    Tiamak hatte selbst einiges von dem gefühlt, das Aditu zu meinen schien – einen Luftzug im Nacken, beharrlich wie tastende Finger, Echos, die wie leise Stimmen klangen.
    »Was meint Ihr damit?«
    »Etwas ist wach in Asu’a, das nicht wach sein sollte. Es ist schwer zu erklären. Und was immer es ist, es hat denen einen Anschein von Leben verliehen, die kein Leben haben dürften.«
    Tiamak furchte unsicher die Stirn. »Meint Ihr … Geister?«
    Aditu lächelte flüchtig. »Wenn ich Erste Großmutter richtig verstanden habe, als sie mich lehrte, was dieses Wort der Sterblichen bedeutet – nein. Nicht in dieser Form. Aber der Unterschied lässt sich nicht leicht beschreiben. Eure Sprache ist dafür ungeeignet, und Ihr seht und fühlt nicht das Gleiche wie wir.«
    »Wie wollt Ihr das wissen?« Er sah zu Josua hinüber, aber der Prinz starrte wie gebannt auf die kunstvoll gemeißelten Wände.
    »Wenn Ihr es tätet«, versetzte Aditu, »würdet Ihr nicht so ruhig hier sitzen.« Damit erhob sie sich und ging über den geröllbestreuten Boden zu ihrer Mutter, die in ein leises Gespräch mit Jiriki vertieft war.
    Mitten im leeren Raum fühlte Tiamak sich auf einmal von Gefahren umgeben. Er rückte näher zu Josua.
     
    »Fühlt Ihr es auch, Prinz Josua?«, fragte Tiamak. »Die Sithi spüren es. Sie haben Angst.«
    Der Prinz machte ein grimmiges Gesicht. »Wir haben alle Angst. Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte mich eine Nacht lang auf dieses Abenteuer vorbereiten können, aber das hat Camaris mir leider unmöglich gemacht. Ich versuche, nicht daran zu denken, wohin wir gehen.«
    »Und wir haben nicht die geringste Vorstellung von dem, was wir tun müssen, wenn wir endlich dort sind«, klagte Tiamak. »Hat es jemals eine derart chaotische Schlacht gegeben?« Er zögerte. »Es steht mir nicht zu, Euch danach zu fragen, Prinz Josua, aber warum seid Ihr Camaris gefolgt? Sicher hätten doch auch andere, für unseren Erfolg weniger wichtige Personen ihm nachgehen können.«
    Der Prinz starrte vor sich hin. »Ich war der Einzige, der sich in der Nähe befand. Ich wollte ihn zurückholen, bevor er für uns verloren war.« Er seufzte. »Ich fürchtete, die anderen würden nicht rechtzeitig kommen. Aber mehr noch –«
    Wieder erfolgte die merkwürdige Erschütterung von Luft und Stein, jäh und verwirrend. Sie unterbrach Josua mitten im Satz. Die Lichter der Sithi zuckten, obwohl die Unsterblichen selbst sich nicht zu bewegen schienen. Einen Augenblick glaubte Tiamak die Anwesenheit einer Unzahl anderer Wesen zu spüren, einer Horde von Schatten, die durch die zerstörten Säle wimmelten. Dann war das Gefühl vorbei und alles wieder wie vorher, bis auf einen eigentümlichen, hartnäckigen Rauchgeruch.
    »Bei Ädons Barmherzigkeit!« Josua betrachtete seine Füße, als wundere er sich, sie noch auf dem Boden zu finden. »Was ist das für ein Ort?«
    Die Sithi waren stehen geblieben. Jiriki drehte sich nach den Menschen um.
    »Wir müssen schneller laufen«, sagte er. »Werdet Ihr folgen können?«
    »Ich habe ein lahmes Bein«, erwiderte Tiamak, »aber ich werde mein Bestes tun.«
    Josua legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich werde bei Euch bleiben. Notfalls kann ich Euch tragen.«
    Tiamak lächelte. Er war gerührt. »Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird, Prinz Josua.«
    »Dann kommt. Die Sithi haben es eilig. Wir wollen versuchen, sie nicht aufzuhalten.«
    Von da ab ging es im Laufschritt durch die gewundenen Gänge. Wenn er auf die Rücken der Sithi sah, hatte Tiamak kaum Zweifel, dass die Unsterblichen ihre menschlichen Begleiter ohne Mühe weit hinter sich lassen konnten. Dass sie es nicht taten, war äußerst aufschlussreich; offenbar nahmen sie an, dass Tiamak und Josua noch eine Bedeutung für sie haben würden. Der Wranna achtete nicht auf den Schmerz in seinem Bein und hastete weiter.
    Sie schienen viele Stunden zu rennen, obwohl Tiamak nicht feststellen konnte, ob es wirklich so war; denn so, wie der Stoff, aus dem Asu’a selbst bestand, sonderbar flüchtig schien, veränderte sich auch

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