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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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er dorthin gekommen war. Aber die Lumpen ringsum waren dieselben, und neben ihm rasselte noch immer, wenn auch leiser, Guthwulfs mühsamer Atem. Simon kroch zu ihm hin, schob die warme, schnurrende Katze sanft beiseite und stellte erfreut fest, dass die Glieder des Blinden nicht mehr ganz so krampfhaft verspannt waren. Vielleicht erholte er sich ja von seinem Fieber. Vielleicht war die Katze seine Gefährtin gewesen und mit ihr auch etwas von seinem Verstand zurückgekehrt. Jedenfalls hatte der Graf aufgehört, vor sich hin zu murmeln. Simon ließ die Katze wieder in seine Armbeuge klettern. Es war ein merkwürdiges Gefühl, Guthwulfs Stimme nicht mehr zu hören.
    In den ersten Stunden seines Fiebers war der Graf vorübergehend fast klar im Kopf gewesen, obwohl ihn seine Stimmen und die bisherige Einsamkeit so plagten, dass man Wirklichkeit und Albtraum beiihm nur schwer unterscheiden konnte. Er erzählte Simon, wie er auf der Suche nach Hellnagel verzweifelt in der Finsternis umhergekrochen war – wobei er das Schwert seltsamerweise nicht für einen Gegenstand zu halten schien, sondern für etwas Lebendiges, das nach ihm rief. Simon erinnerte sich an Dorns Lebenskraft, die ihn so beunruhigt hatte, und glaubte, ein wenig von dem zu verstehen, was der Graf ihm erzählte.
    Es war schwer, sich aus den Eindrücken eines halbverrückten Blinden einen Reim zu machen, aber während Guthwulf sprach, stellte sich Simon vor, wie der Graf durch die Tunnel irrte, angelockt von etwas, das ihn mit einer Stimme rief, der er nicht widerstehen konnte. Guthwulf hatte das Gebiet, in dem er sich gewöhnlich aufhielt, offenbar weit hinter sich gelassen und dabei entsetzliche Dinge gehört und gefühlt. Zuletzt war er nur noch gekrochen, und wenn selbst diese engen Durchlässe verstopft waren, hatte er gegraben und sich so durch die letzten Ellen Erde gekämpft, die ihn vom Objekt seiner Begierde trennten.
    Er hat sich in Johans Grabhügel gewühlt, begriff Simon und erschauderte. Wie ein blinder Maulwurf auf der Suche nach einer Mohrrübe hat er gekratzt und gekratzt …
    Guthwulf hatte seine Beute an sich genommen und irgendwie zu seinem Nest zurückgefunden, aber offenbar hatte selbst das Glück, den ersehnten Gegenstand zu besitzen, nicht ausgereicht, ihn in seinem Versteck zu halten. Immer wieder hatte er sich in die Schmiede hinausgewagt, vielleicht, um dort etwas Essbares zu stehlen – denn wo sonst waren Brot und Wasser hergekommen –, vielleicht aber auch aus einem tieferen, weniger einfachen Grund.
    Warum ist er zu mir gekommen?, grübelte Simon. Warum hat er das Wagnis auf sich genommen, Inch in die Hände zu fallen? Erneut dachte er an Dorn und daran, wie es fast den Anschein gehabt hatte, als entscheide das Schwert selbst, wohin es gehen wollte. Vielleicht wollte Hellnagel … mich finden?
    Der Gedanke hatte etwas erschreckend Verführerisches. Wenn Hellnagel von der großen Auseinandersetzung, die ihnen allen bevorstand, angezogen wurde, dann wusste es vielleicht auch, dass Guthwulf freiwillig nie wieder hinauf ans Tageslicht steigen würde.So wie Dorn sich Simon und seine Gefährten ausgesucht hatte, damit sie es vom Urmsheim holten und zu Camaris zurückbrachten, so hatte vielleicht Hellnagel Simon erwählt, damit er es den Engelsturm hinauftrug und mit ihm gegen den Sturmkönig kämpfte.
    Eine weitere dunkle Erinnerung stieg in ihm auf. In meinem Traum hat Leleth gesagt, das Schwert sei ein Teil meiner Geschichte. Hat sie das damit gemeint? Die Einzelheiten waren merkwürdig verschwommen, aber er sah den Mann mit dem traurigen Gesicht noch vor sich, der die Klinge auf dem Schoß gehalten und auf etwas gewartet hatte. Auf den Drachen?
    Simon ließ seine Hand vom Rücken der Katze über Guthwulfs Arm wandern, bis sie Hellnagel fand. Der Graf stöhnte, wehrte sich jedoch nicht, als Simon sanft seine Finger von der Klinge löste. Ehrfürchtig strich er über den rauhen Umriss des Nagels, der dicht unter dem Stichblatt befestigt war. Ein Nagel vom Hinrichtungsbaum des göttlichen Usires! Und versiegelt im hohlen Griff befand sich noch eine Reliquie des heiligen Eahlstan, fiel ihm ein. Priester Johans Schwert. Ein Wunder, dass ein ehemaliger Küchenjunge etwas so Wertvolles überhaupt berühren durfte.
    Simons Finger schlossen sich um den Griff. Er schien … zu passen und lag so bequem in seiner Hand, als sei er für sie gemacht. Alle anderen Gedanken über das Schwert und über Guthwulf traten auf einmal in den

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