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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hinter Camaris her. Der alte Ritter war bereits mehrere Dutzend Schritte voraus und stelzte steifbeinig auf die dunklen Gänge am anderen Ende der großen Halle zu. Tiamak hinkte den beiden langsam hinterher.
    In seinem Rücken stieg von neuem das Lied der Morgendämmerungskinder auf, nicht mehr so kraftvoll wie beim ersten Mal. Tiamak wagte nicht, sich umzusehen. An der Höhlendecke zuckten blaue Lichter, und Schatten blühten auf, verschwanden und kehrten zurück.

    Trotz der sonderbaren Verschiebungen, die um ihn herum vorzugehen schienen, und trotz der körperlosen Stimmen, die ab und zu in der Schwärze kreischten oder plapperten, hielt Simon seine Angst unter Kontrolle. Er hatte das Rad überlebt, war in die Leere eingegangen und zurückgekehrt. Er hatte sein Leben zurückgewonnen, aber er klammerte sich nicht mehr so daran wie früher, und so war sein Griff jetzt in gewisser Weise sogar fester. Was bedeuteten schon Kleinigkeiten wie Hunger oder vorübergehende Blindheit? Er hatte schon vorher gehungert und war ohne Licht umhergeirrt.
    Die Katze trottete lautlos vor ihm her, drehte sich ab und zu um und rieb sich an ihm und lief dann weiter. Sie führte ihn gemächlich durch das Gewirr der Tunnel, und er vertraute ihr. Es blieb ihm ja ohnehin nichts anderes übrig, und sich deshalb den Kopf zu zerbrechen, war überflüssig.
    Um ihn herum spielte sich etwas ab, aber er wusste nicht recht, was es war. Die geisterhaften Erscheinungen und merkwürdigen Verwerfungen hatten noch zugenommen und schienen jetzt so regelmäßig aufzutreten, wie Wogen auf einen Strand rauschen, alles vor sich herschieben und dann wieder zurückfluten. Er wappnete sich gegen das Gefühl, wie er sich gegen seine Schmerzen gewappnet hatte.
    So tastete er sich durch die dunklen Korridore. Hellnagel kratzte über die Wände wie das Fühlhorn eines Käfers, und Simons Finger fuhren durch Staub, feuchtes Moos und Spinnweben und andere, noch unappetitlichere Dinge. Etwas anderes konnte er nicht tun. Er hatte dem Eisdrachen gegenübergestanden und ihm seinen, Simons, Namen entgegengeschrien, war durch die Leere hinter den Träumen geschwebt und hatte doch an sich selbst festgehalten. Er konnte der Aufgabe, die vor ihm lag, nicht ausweichen und wollte es auch nicht.
    Mit seiner lichtlosen Umgebung schien auch Hellnagel sich zu verwandeln. Manchmal war es einfach nur eine Klinge, die gegen seine Hüfte schlug; gleich darauf schien es im Einklang mit den Erschütterungen in den Tiefen unter der Burg zu vibrieren wie einlebendiges Wesen. In solchen Momenten war schwer zu bestimmen, ob einer von ihnen beiden über den anderen gebot oder ob Simon und das Schwert, so wie Simon und die Katze, zwei gleichberechtigte Wesen waren, die als sonderbare Gefährten miteinander durch die Dunkelheit zogen.
    Dann konnte er auch hören, wie das Schwert in seinen Gedanken nach ihm rief; seine Stimme war nur schwach, nur eine Andeutung des Liedes, das Guthwulf gelockt hatte, aber sie wurde ständig stärker. Manchmal konnte er es fast verstehen, so als spräche es in einer Sprache zu ihm, die er gekannt und vor langer Zeit vergessen hatte, die aber nun langsam aus dem Winkel seines Gedächtnisses, in dem er sie begraben hatte, emporstieg. Aber Simon wollte gar nicht unbedingt verstehen, was die Klinge sang. Er dachte, wenn er lange genug so umherirrte, würde auch er vielleicht werden wie Guthwulf und kaum noch etwas anderes wahrnehmen als die unwiderstehliche Musik des Schwertes.
    Er hoffte, dass er nicht so lange im Dunkel bleiben müsste.
     
    Endlich blieb die Katze stehen und wollte nicht weitergehen. Sie wand sich um seine Schienbeine, als ob sie gestreichelt werden wollte. Als er sich bückte, um sie zu kraulen, stupste sie mit der Nase gegen seine Finger, rührte sich jedoch nicht vom Fleck. Simon wartete eine Weile und fragte sich allmählich, ob er nicht allzu viel Vertrauen auf ein Wesen gesetzt hatte, das bl0ß ein Tier war.
    »Wohin jetzt?«, fragte er. Seine Stimme rief kaum ein Echo hervor; sie mussten sich immer noch in einem der engeren Gänge befinden. »Komm schon, ich warte.«
    Die Katze rieb sich an ihm und schnurrte. Simon streckte die Hände aus und tastete vorsichtig die Wände ab. Er suchte etwas, das sie vielleicht am Weitergehen hinderte – vielleicht gab es einen Durchgang, der erst über dem Boden anfing, oder etwas Ähnliches. Stattdessen fand er auf einem steinernen Wandsims etwa in Kopfhöhe einen Teller und eine zugedeckte

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