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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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zuckte ein Blitz über den Himmel und legte sich wie eine zackige, grelle Kette um den Turm. Der Donner schüttelte Simon bis auf die Knochen.
    In diesem Augenblick schlagartiger Helligkeit sah er auf und gewahrte ein bleiches Gesicht, das vom Fenster der großen Glockenstube hinunterstarrte.

31
Der falsche Bote

    iriamel war so erschöpft, dass sie taumelte. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie Binabik es mit seinen kürzeren Beinen immer noch schaffte, vor ihr herzulaufen. Bestimmt waren sie inzwischen über eine Stunde gestiegen. Wie konnte es nur eine so lange Treppe geben? Selbst wenn sie vom Mittelpunkt der Erde ausgegangen wären, hätten sie den Hochhorst längst erreichen müssen.
    Keuchend blieb sie stehen, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und blickte sich um. Cadrach war zwei Treppenabsätze unter ihr. Sie konnte ihn im Fackellicht kaum wahrnehmen. Immerhin, der Mönch gab nicht auf, das musste sie anerkennen.
    »Binabik! Warte!«, rief sie. »Wenn ich … wenn ich noch eine einzige Stufe steige, fallen mir die Beine ab.«
    Der Troll hielt an und kam dann zu ihr herunter. Er reichte ihr den Wasserschlauch und sagte, während sie trank: »Wir haben die Burg fast erreicht. Ich kann fühlen, wie die Luft anders wird.«
    Miriamel sackte auf der breiten, glatten Stufe zusammen und ließ Bogen und Reisesack fallen. Im Lauf der letzten Stunde war sie vielfach versucht gewesen, beides einfach wegzuwerfen. »Welche Luft? Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich zum letzten Mal echte Luft in den Lungen gehabt habe.«
    Binabik betrachtete sie mitfühlend. »Berge erklimmen ist, was wir Qanuc lernen, bevor wir sprechen. Du hast Großes geleistet, bei mir zu bleiben.«
    Miriamel verzichtete auf eine Erwiderung. Wenig später kam Cadrach angestolpert, torkelte gegen die Wand und rutschte, eine Armlänge von ihr entfernt, auf die Stufen. Sein blasses Gesicht warfeucht, die Augen starrten in die Ferne. Sie sah, wie er nach Atem rang, und bot ihm nach kurzem Zögern den Wasserschlauch an. Er nahm ihn, ohne aufzublicken.
    »Ruht euch alle beide aus«, forderte Binabik sie auf. »Danach wird es Zeit für das letzte Klettern sein. Nah sind wir schon, sehr nah.«
    »Nah woran?« Miriamel zog den Wasserschlauch aus Cadrachs teilnahmslosen Fingern, trank noch einmal und gab ihn dem Troll zurück. »Binabik, ich versuche die ganze Zeit, so viel Atem zu sammeln, dass ich dich fragen kann, was hier eigentlich vorgeht. Was haben die Unterirdischen gemeint und was ist dir Wichtiges eingefallen?« Sie hielt seinen Blick fest, obwohl sie merkte, dass er wegsehen wollte. »Was ist es?«
    Der Troll schwieg, hielt aber den Kopf schräg, als lausche er. Im Treppenschacht war außer dem Rasseln ihres Atems nichts zu hören. Er setzte sich neben sie.
    »In der Tat war es etwas, das die Unterirdischen bemerkten – wenngleich das allein meine Gedanken nicht so in meinem Kopf herumspringen lassen würde.« Er sah auf seine Füße. »Ich habe noch weitere Einfälle. Dinge, über die ich seit vielen Wochen nachsinne – der falsche Bote aus Simons Traum vor allem.«
    »In Geloës Haus«, flüsterte Miriamel. Sie erinnerte sich.
    »Und er war nicht der Einzige«, fuhr Binabik fort. »Eine Nachricht, die wir in der Weißen Öde empfingen, von einem Sperling getragen – ich denke heute, dass sie von Dinivan von Nabban kam, denn Isgrimnur hörte ihn später auch davon sprechen –, enthielt ebenfalls eine Warnung vor falschen Boten.«
    Beim Gedanken an Dinivan tat Miriamel das Herz weh. Er war gut und klug gewesen – und Pryrates hatte ihn zerbrochen wie ein Stückchen Anmachholz. Isgrimnurs Erzählung über das Grauen in der Sancellanischen Ädonitis verfolgte sie noch immer in ihren Albträumen.
    Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Als Cadrach damals versucht hatte, sie aus der Sancellanischen Ädonitis wegzuschaffen, hatte sie sich gesträubt und ihn einen Lügner genannt, bis er sich gezwungen sah, sie bewusstlos zu schlagen und wegzutragen. Aber er hatte die Wahrheit gesagt. Warum war er nicht einfach geflohen und hattesich selbst in Sicherheit gebracht und es ihr überlassen, wie sie aus der Sache herauskam?
    Sie warf ihm einen Blick zu. Der Mönch hatte sich noch nicht wieder erholt. Er lag zusammengekrümmt an der Wand, das Gesicht so leer wie bei einer Wachspuppe.
    »So lange schon frage ich mich, wer ein solcher Bote sein könnte«, nahm Binabik wieder das Wort. »Groß ist die Zahl der Boten, die zu Josua gekommen sind und auch

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