Der Engelsturm
zu groß. Sie müssen gedacht haben, wenn Camaris tot wäre, würde sich das Schwert einen neuen Träger suchen, der ihre Pläne weniger erschweren würde. Schließlich war Dorn kein treues Tier wie Binabiks Wölfin.«
Simon lehnte sich zurück und starrte vor sich hin. »Das heißt, dass alle unsere Hoffnungen und die ganze Schwertersuche nichts als eine Falle waren. Und wir sind hineingetappt wie die Kinder.« Sein Gesicht verfinsterte sich, und Isgrimnur wusste, dass er sich über sich selbst ärgerte.
»Es war eine verdammt schlaue Falle«, meinte der Herzog. »Eine, an der sie lange gearbeitet haben. Und am Ende verloren sie doch.«
»Wissen wir das genau?«, fragte Simon Jiriki. »Wissen wir, dass sie verloren haben?«
»Isgrimnur hat uns berichtet, dass die Hikeda’ya flohen, als der Turm zusammenbrach – die wenigen, die noch lebten. Ich bedaure nicht, dass er sie nicht verfolgt hat, denn ihre Zahl ist jetzt gering, und wir Gartengeborenen bekommen selten Kinder. Viele starben in Naglimund und viele hier. Die Tatsache, dass sie flohen, anstatt bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, verrät uns viel; sie sind vernichtet.«
»Auch nachdem uns Utuk’ku die Macht über den Teich entrissen hatte«, schaltete Aditu sich ein, »wehrten wir uns weiter. Und als Ineluki endgültig seinen Geist aufgab, spürten wir es.« Die lange Pause war beredt. »Es war entsetzlich. Aber wir fühlten es auch, als sein Menschenkörper – König Elias’ Körper – starb. Ineluki hat den Ort im Nichts, der seine Zuflucht war, verlassen und die endgültige Auflösung seines Ichs gewagt, um in die Welt zurückzukehren. Er hat gespielt – und verloren. Es ist nichts mehr von ihm übrig.«
Simon zog die Brauen hoch. »Und Utuk’ku?«
»Sie lebt noch, aber ihre Macht ist gebrochen. Auch sie setzte viel aufs Spiel, und es war ihre Zauberkunst, die es ermöglichte, dass Inelukis Geist sich in dem Augenblick, als die Zeit zurückgedreht wurde, überhaupt in dem Turm aufhalten konnte. Das Misslingen ihrer Pläne hat sie vernichtet.« Aditu sah ihn aus hellen Bernsteinaugen an. »Ich habe sie in meinen Gedanken so deutlich gesehen, Seoman, als stünde sie vor mir. Die Feuer von Sturmspitze sind erloschen, die Hallen leer. Utuk’ku ist fast allein, ihre Silbermaske zersprungen.«
»Ihr meint, Ihr habt sie selbst gesehen? Ihr Gesicht?«
Aditu neigte das Haupt. »Das Grauen vor dem eigenen unfasslichen Alter veranlasste sie schon vor langer Zeit, ihr Antlitz zu verhüllen. Aber dir, Seoman Schneelocke, würde sie wie jede andere alte Frau erscheinen. Ihre Züge sind gefurcht und erschlafft, die Haut ist fleckig. Utuk’ku Seyt-Hamakha ist die Älteste, aber ihre eigene Selbstsucht und Eitelkeit verkehrten schon vor Jahrtausendenihre große Weisheit in Torheit. Sie schämte sich, weil das Alter sie eingeholt hatte. Und jetzt kann sie nicht einmal mehr Schrecken einflößen. Sie ist hilflos.«
»Das heißt, dass die Macht von Sturmspreitz und den Weißfüchsen zu Ende ist«, stellte Isgrimnur fest. »Wir haben große Verluste erlitten, aber wir hätten noch viel mehr verlieren können, Simon – wir hätten alles verlieren können. Wir haben Euch und Binabik viel zu danken.«
»Und Miriamel«, bemerkte Simon ruhig.
»Und Miriamel, natürlich.«
Der junge Mann warf einen Blick auf die Versammlung und schaute dann wieder den Herzog an. »Das ist nicht alles, das Euch hergeführt hat. Ihr habt meine Fragen beantwortet. Wie lauten die Euren?«
Isgrimnur konnte nicht übersehen, wie selbstsicher Simon geworden war. Er war höflich, aber seine Stimme verriet, dass er wusste, was er wollte. Was durchaus in Ordnung war. Aber es klang etwas wie Zorn aus seiner Stimme, das Isgrimnur zögern ließ, bevor er weitersprach.
»Jiriki hat mit mir über Euch geredet, über Euer … Erbe. Ich muss gestehen, dass ich verblüfft war, aber ich glaube ihm, denn es passt zu allem anderen, das wir inzwischen erfahren haben, über Johan, über die Sithi, über vieles. Ich dachte, wir würden Euch eine Neuigkeit bringen, aber etwas in Eurem Gesicht hat mir verraten, dass Ihr es bereits herausgefunden habt.«
Simons Lippen verzogen sich zu einem sonderbaren, halben Lächeln. »Das stimmt.«
»Ihr wisst also, dass Ihr vom Blut Eahlstan Fiskernes seid«, fuhr Isgrimnur tapfer fort, »des letzten Königs von Erkynland vor Priester Johan.«
»Des Mannes, der den Bund der Schriftrolle gegründet hat«, fügte Binabik hinzu.
»Und der den Drachen wirklich
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