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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Isgrimnur betrat mit einigen Begleitern den Saal.
    Der Herzog musterte ihn aufmerksam. »Aha. Ihr wisst es also?«
    Der junge Mann antwortete nicht, aber in seinem Gesicht kämpften widerstreitende Gefühle. Isgrimnur, der ihn genau beobachtete, fragte sich, wie das derselbe Mensch sein konnte wie der Grünschnabel, den man vor einem Jahr in den Ebenen südlich von Naglimund zu ihm gebracht hatte – quer über dem Sattel eines reiterlosen Pferdes hängend wie ein Mehlsack.
    Er war damals schon groß gewesen, wenn auch gewiss nicht so groß wie heute, und der weiche Flaum eines Jungen war einem dichten rötlichen Bart gewichen. Aber die Veränderung ging tiefer. Simon hatte eine Gelassenheit gewonnen, die Stärke, aber auchGleichgültigkeit bedeuten konnte. Isgrimnur machte sich Sorgen, wie der Junge sich entwickelt haben mochte; Simons Erlebnisse des letzten Jahres schienen den Grünschnabel von einst unwiderruflich und fast zur Unkenntlichkeit verwandelt zu haben. Seine Kindheit war weggebrannt. Zurückgeblieben war ein Mann.
    »Ich denke, dass mir einiges klargeworden ist, ja«, antwortete Simon endlich und bemühte sich, ein ausdrucksloses Gesicht zu zeigen. »Aber ich glaube nicht, dass es besonders wichtig ist – nicht einmal für mich.«
    Isgrimnur brummte etwas Unverbindliches. »Nun gut. Wir haben Euch gesucht.«
    »Hier bin ich.«
    Als sie näher kamen, verbeugte Simon sich vor dem Herzog und begrüßte dann die anderen – Tiamak, Strangyeard, Jiriki und Aditu. Als Simon ein paar leise Worte mit den Sithi wechselte, fiel Isgrimnur zum ersten Mal auf, wie ähnlich der junge Mann ihnen geworden war, zumindest in diesem Augenblick – zurückhaltend, vorsichtig, wortkarg. Der Herzog schüttelte den Kopf. Wer hätte sich so etwas vorstellen können?
    »Geht es Euch gut, Simon?«, fragte Strangyeard.
    Der junge Mann zuckte die Achseln und lächelte leicht. »Meine Wunden heilen.« Er wandte sich an Isgrimnur. »Jeremias brachte mir Eure Botschaft. Ich wäre natürlich in Euer Zelt gekommen, aber Jeremias bestand darauf, dass Ihr mich aufsuchen wolltet, wenn Ihr dazu bereit wärt.« Er sah die kleine Gesellschaft fragend an. Sein Gesicht war verschlossen und wachsam. »Nun – es sieht so aus, als wäre dieser Zeitpunkt gekommen, aber Ihr habt einen langen Weg vom Lager herauf auf Euch genommen, um mich zu finden. Möchtet Ihr mich noch etwas fragen?«
    »Ja, das auch.« Der Herzog sah zu, wie die anderen sich auf den Steinboden setzten, und verzog schmerzhaft das Gesicht. Simon lächelte mit gutmütigem Spott und deutete auf den Drachenbeinthron.
    Isgrimnur schüttelte schaudernd den Kopf.
    »Dann wartet.« Simon sammelte einen Stapel herumliegender Banner auf und legte sie auf die Stufe zum Thronpodest.
    Mit nur einem gesunden Arm brauchte Isgrimnur eine Weile, bis er sich auf diesem Behelfssitz niedergelassen hatte, aber er war entschlossen, es ohne Hilfe zu schaffen. »Ich freue mich, Euch wieder auf den Füßen zu sehen, Simon«, sagte er, als er wieder sprechen konnte, ohne zu schnaufen. »Heute Morgen saht Ihr nicht gut aus.«
    Der junge Mann nickte und setzte sich neben ihn. Auch er bewegte sich langsam und schonte zahlreiche verletzte Stellen, aber Isgrimnur wusste, dass er bald wieder gesund sein würde. Er konnte einen plötzlichen Anflug von Neid nicht unterdrücken.
    »Wo sind Binabik und Miriamel?«, fragte Simon.
    »Binabik wird bald hier sein«, erklärte Strangyeard. »Und … und Miriamel …«
    Die Gelassenheit des jungen Mannes verschwand. »Sie ist doch noch hier, oder? Sie ist nicht weggelaufen, oder es ist ihr etwas zugestoßen?«
    Tiamak winkte ihm beschwichtigend zu. »Nein, nein. Sie befindet sich im Lager und erholt sich, genau wie Ihr. Aber sie …« Er blickte hilfesuchend auf Isgrimnur.
    »Aber es gibt Dinge, die ohne sie besprochen werden müssen«, sagte der Herzog derb. »Das ist alles.«
    Simon nahm die Antwort zur Kenntnis. »Gut. Ich habe auch einige Fragen an Euch.«
    Isgrimnur nickte. »Stellt sie.« Er hatte darauf gewartet, seitdem er Simon in stummer Versunkenheit vor Eahlstans steinernem Abbild gefunden hatte.
    »Binabik hat mir gestern erzählt, dass es eine List war, uns die Schwerter hierherbringen zu lassen, ein ›falscher Bote‹, und dass Pryrates und der Sturmkönig sie von Anfang an hier haben wollten.« Er schob mit dem Absatz eines der feuchten Banner zur Seite. »Sie brauchten sie, um die Zeit bis zu dem Augenblick vor Inelukis letztem Zauber

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