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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nur habt Ihr mit einem Drachen gekämpft, sondern Euch auch tapfer für den Abschiedsstein und für Josua geschlagen, und das Volk erinnert sich daran. Und jetzt können wir sogar verkünden, dass das Blut des heiligen Eahlstan Fiskerne in Euren Adern fließt, eines der beliebtesten Herrscher, die je auf diesem Thron gesessen haben. Ehrlich gesagt, wenn es nicht stimmte, wäre ich versucht gewesen, es zu erfinden.«
    »Aber das besagt doch überhaupt nichts!«, explodierte Simon. »Glaubt Ihr denn, ich hätte nicht darüber nachgedacht? Seit dem Augenblick, in dem es mir klarwurde, habe ich nichts anderes getan. Ich bin ein Küchenjunge, der das Glück hatte, von einem sehr weisen und sehr gütigen Mann in die Lehre genommen zu werden. Ich habe Glück mit meinen Freunden gehabt. Ich bin in schreckliche Dinge hineingezogen worden. Ich habe getan, was ich tun musste, und habe überlebt. Nichts davon steht in irgendeinem Zusammenhang damit, wer mein Ur-ur-wie-viele-Ur-auch-immer-Großvater war!«
    Isgrimnur wartete nach diesem Ausbruch eine Weile, bis die Empörung des jungen Mannes sich gelegt hatte. »Aber begreift Ihr denn nicht«, sagte er dann milde, »dass es gar nicht darauf ankommt, ob ein solcher Zusammenhang besteht oder nicht? Meines Erachtens ist es gar nicht wichtig, ob die Geschichte wahr ist. Bei Drors rotem Hammer, Simon, Priester Johans ganzes Leben war ein Mythos – eine Lüge! Ich habe mich in den letzten Tagen selbst mit dieser Entdeckung abfinden müssen. Aber macht ihn das zu einem schlechteren König? Die Menschen brauchen etwas, an das sie glauben können, ob Euch das passt oder nicht. Wenn Ihr es ihnen nicht gebt, erfinden sie es eben.
    Im Augenblick haben alle Angst vor der Zukunft. Der größte Teil der Welt liegt in Scherben, Simon, und die Überlebenden sind misstrauisch gegenüber Miriamel, weil sie ist, wer sie ist, und weil sie nicht genau wissen, was sie getan hat, und, um kein Blatt vor den Mund zu nehmen, weil sie eine junge Frau ist. Die Barone wollen einen Mann, stark, aber nicht zu stark, und sie wollen keinen Bürgerkrieg um die Gattenwahl einer regierenden Königin.« Isgrimnur streckte die Hand aus, um Simons Arm zu berühren, überlegte essich dann aber und zog die Hand zurück. »Hört mir zu. Die Männer, die Josua folgten, lieben Euch, Simon, fast genauso wie den Prinzen. In gewisser Weise vielleicht sogar mehr. Ihr wisst – und ich weiß –, dass es keinen Unterschied macht, welches Blut in Euch fließt. Blut ist immer rot. Aber Euer Volk braucht etwas, an das es glauben kann, und es friert, ist verwundet und hat keine Heimat.«
    Simon starrte ihn an, und Isgrimnur empfand die Kraft des Zornes, die in dem jungen Mann loderte. Er war in der Tat gewachsen, und er würde ein starker Charakter werden – nein, er war es bereits.
    »Und deshalb soll ich Miriamel verraten?«, fragte Simon hart.
    »Nicht verraten«, antwortete Isgrimnur. »Ich gebe Euch ein paar Tage Bedenkzeit, dann werde ich selbst mit ihr sprechen. Morgen begraben wir unsere Toten, und das Volk wird uns alle zusammen sehen. Das ist für den Anfang genug.« Der Herzog schüttelte den Kopf. »Ich werde Miriamel nicht anlügen, Simon. Das ist nicht meine Art. Aber ich wollte Euch die Möglichkeit geben, meinen Vorschlag als Erster zu hören.« Plötzlich tat der junge Mann ihm aufrichtig leid.
    Wahrscheinlich hat er gedacht, er könnte erst einmal in Ruhe seine Wunden lecken – denn davon hat er genug. Wie wir alle.
    »Denkt darüber nach, Simon. Wir brauchen Euch – alle brauchen Euch. Es wird mir schwer genug fallen, in meinem Herzogtum wieder Ordnung zu schaffen, ganz zu schweigen vom Schicksal des jungen Varellan, der verwaist in Nabban sitzt, und von den Hernystiri, wenn es sie überhaupt noch gibt. Wir brauchen zumindest die Hoffnung auf einen neuen Hochkönigsfrieden und einen Mann auf dem Thron, auf den die Menschen sich verlassen können.«
    Er erhob sich von der niedrigen Stufe, wobei er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie schrecklich weh sein Rücken tat, machte eine steife Verbeugung vor Simon und stapfte zur Tür hinaus. Der Rest des Kreises blieb stumm zurück. Isgrimnur konnte Simons Blick im Nacken fühlen.
    Gott steh mir bei, dachte der Herzog, als er draußen ins Zwielicht trat. Ich brauche Ruhe. Viel Ruhe. Er hörte Schritte und sah vom Feuer auf. »Binabik?«
    Sie kam näher und trat ins Licht. Trotz der kalten Frühlingsnacht und der vielen Stellen, an denen der Schnee noch nicht

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