Der Engelsturm
um. Der junge Mann lachte und vergrub seine Finger im Nackenfell der Wölfin, um die suchende Schnauze und die lange Zunge von seinem Gesicht fernzuhalten.
»Voller Freude, dich zu sehen, ist sie, Simon!«, rief Binabik, der im selben Augenblick zur Tür hereingetrabt kam. Er hatte vergeblich versucht, mit Qantaqa Schritt zu halten. »Lange hat sie darauf gewartet, dir Grüße zu bringen. Ich habe es ihr nicht gestattet, während deine Wunden neue Verbände erhielten.« Der Troll eilte aufihn zu, begrüßte unterwegs beiläufig den Rest der Versammlung und drückte Qantaqa mit einiger Mühe auf den Steinboden neben dem Podest. Sie gab nach und streckte sich zwischen Binabik und Simon aus, groß und zufrieden. »Freuen wird es dich auch, zu wissen, dass ich an diesem Nachmittag Heimfinder entdeckt habe«, sagte der Troll zu dem jungen Mann. »Sie wanderte vom Kämpfen davon und durchstreifte die Tiefen des Kynswaldes.«
»Heimfinder.« Simon sprach den Namen ganz langsam aus. »Danke, Binabik. Ich danke dir sehr.«
»Ich bringe dich später, sie zu sehen.«
Als sich alle wieder zurechtgesetzt hatten, fuhr Strangyeard fort. »Herr Deornoth merkte als Erster, dass sie uns weniger jagten als vielmehr … vor sich hertrieben. Sie sorgten dafür, dass wir in Todesangst aus Naglimund flohen, aber sie töteten uns nicht, obwohl es ihnen zweifellos möglich war. Und sie versuchten erst, uns mit Gewalt aufzuhalten, als wir die Richtung nach dem innersten Herzen des Aldheorte einschlugen.«
»Nach Jao é-Tinukai’i«, sagte Aditu leise.
»Und sie töteten Amerasu, sobald sie angefangen hatte, Inelukis Plan zu durchschauen«, grübelte Simon. »Aber trotzdem verstehe ich nicht, warum sie Camaris ermorden wollten.«
Wieder sprach Jiriki. »Sie waren damit zufrieden, dass du das Schwert hattest, Seoman, obwohl ich überzeugt bin, dass es Utuk’ku sehr verärgerte, als sie von Ingen Jegger erfuhr, dass du dich in Gesellschaft von Kindern der Morgendämmerung befandest. Dennoch müssen sie und Ineluki es für wenig wahrscheinlich gehalten haben, dass wir so schnell begreifen würden, was sie vorhatten – und wie sich herausstellte, war es ja auch so. Nur Erste Großmutter erkannte die Umrisse ihres Plans. Sie beseitigten Amerasu und sorgten auch sonst für große Verwirrung. Damals stellten die Zida’ya für die Bewohner von Sturmspitze kaum eine Bedrohung dar. Die beiden müssen sicher gewesen sein, dass das schwarze Schwert, wenn der Zeitpunkt gekommen war, dich oder den Rimmersmann Sludig, vielleicht auch einen anderen, als Träger erwählen würde. Josua würde ihnen Hellnagel bringen – schließlich hatte es seinem Vater gehört –, und die endgültigen Rituale konnten stattfinden.«
»Aber dann kam Camaris zurück«, sagte Simon. »Ich glaube, damit hatten sie nicht gerechnet. Immerhin hatte er Dorn jahrzehntelang getragen. Es leuchtet nur ein, dass das Schwert sich für ihn entscheiden würde. Warum sollten sie ihn fürchten?«
Strangyeard räusperte sich. »Herr Camaris, Gott sei seiner gepeinigten Seele gnädig«, der Priester schlug schnell einen Baum, »beichtete mir, was er keinem anderen sagen konnte. Ich werde diese Beichte mit ins Grab nehmen.« Er schüttelte den Kopf. »Möge der Erlöser ihn behüten! Aber der Grund dafür, dass er diese Beichte überhaupt ablegte, war, dass Aditu und Geloë wissen wollten, ob er in Jao … ob er Amerasu gekannt hätte. Das stimmte.«
»Ich bin überzeugt, dass er Josua sein Geheimnis anvertraut hat«, murmelte Isgrimnur. Er dachte an die Nacht auf dem Schiff und daran, wie entsetzlich Josuas Gesicht ausgesehen hatte, und fragte sich zum wiederholten Mal, welche Worte den Prinzen so verändert haben konnten. »Aber auch Josua, Gott schenke ihm Frieden, ist tot. Wir werden es nie erfahren.«
»Doch obwohl Vater Strangyeard schwört, dass Camaris’ Erlebnis nichts mit unseren Kämpfen hier zu tun hatte«, sagte Jiriki, »scheint es, dass Utuk’ku und ihr Verbündeter das nicht wussten. Der Königin von Nakkiga war bekannt, dass Amerasu und Camaris einander begegnet waren – vielleicht erfuhr sie es von Erster Großmutter selbst, als die beiden ihren Willen maßen. Und als nun Camaris plötzlich und unerwartet auftauchte, vielleicht im Besitz geheimen Wissens, das Amerasu ihm anvertraut hatte, dazu mit seiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit einem der Großen Schwerter …« Er schüttelte den Kopf. »Wir wissen es nicht, aber offenbar schien ihnen die Gefahr
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