Der Engelsturm
seiner Stufe hin- und herrutschte. »Erkynland braucht einen Herrscher«, erklärte er endlich. »Der Drachenbeinthron ist verwaist.«
Simons Mund öffnete sich, schloss sich, öffnete sich wieder.»Und?«, fragte er und musterte Isgrimnur misstrauisch. »Miriamel ist gesund und munter und hat nur ein paar leichte Verletzungen. Sie hat sich nicht verändert«, die Bitterkeit in seiner Stimme war unüberhörbar, »und kann bestimmt in Kürze mit dem Regieren anfangen.«
»Es ist nicht ihre Gesundheit, um die wir uns Sorgen machen«, versetzte der Herzog schroff. Irgendwie hatte das Gespräch sich falsch entwickelt. Simon benahm sich wie ein Mensch, den eine Rotte unartiger Kinder aus dem wohlverdienten Schlaf geschreckt hat. »Es ist – verdammt! Es ist ihr Vater!«
»Aber Elias ist tot. Sie hat ihn selbst erschossen. Mit dem Weißen Pfeil der Sithi.« Simon sah auf Jiriki. »Wenn ich es mir recht überlege, hat mir Euer Pfeil zweifellos das Leben gerettet, sodass alle Schuld zwischen uns getilgt ist.«
Der Sitha antwortete nicht. Wie immer zeigte sein Gesicht keine Regung, aber etwas in seiner Haltung deutete darauf hin, dass er sich Sorgen machte.
»Die Menschen haben so unter Elias gelitten, dass sie Miriamel vielleicht kein Vertrauen entgegenbringen werden«, erklärte Isgrimnur. »Ich weiß, dass das Unsinn ist, aber so ist es nun einmal. Wäre Josua am Leben geblieben, hätten sie ihn wahrscheinlich mit offenen Armen empfangen. Die Barone wissen, dass der Prinz Elias Widerstand geleistet hat, seitdem sich der König so zum Schlechten veränderte, dass er schwer gelitten hat und sich die Rückkehr aus der Verbannung mühsam erkämpfte. Doch Josua ist tot.«
»Das Gleiche gilt für Miriamel!«, rief Simon zornig. »Was für ein Wahnsinn!«
»Wir wissen es, Simon«, antwortete Tiamak. »Ich selbst war lange ihr Gefährte. Viele von uns kennen ihre Tapferkeit.«
»Ja, und ich kenne sie auch«, knurrte Isgrimnur, der jetzt selbst ärgerlich wurde. »Aber es kommt auf diese Wahrheit nicht an. Miriamel ist vor Beginn der Belagerung aus Naglimund geflohen und erst nach dem Sieg über Fengbald auf dem Sesuad’ra angekommen. Dann verschwand sie wieder und tauchte ganz zum Schluss im Hochhorst bei ihrem Vater auf.« Er verzog das Gesicht. »Außerdem gibt es Gerüchte, zweifellos von diesem Hurensohn Aspitis Prevesin die Welt gesetzt, dass sie seine Metze war, während er selbst Pryrates diente. Überall wird über sie geklatscht.«
»Aber ein Teil dieser Behauptungen trifft auch auf mich zu. Bin ich darum ein Verräter?«
»Miriamel ist keine Verräterin, das weiß Gott – und ich auch.« Isgrimnur warf ihm einen erbosten Blick zu. »Aber nach dem, was ihr Vater getan hat, wird man ihr, wie schon gesagt, wohl nicht vertrauen. Das Volk will jemanden auf dem Thron sehen, auf den es sich verlassen kann.«
»Irrsinn!« Simon schlug sich wütend auf die Schenkel und wandte sich dann an die Sithi. Er schien kurz davor zu platzen. »Wie ist Eure Meinung dazu?«, fragte er.
»Wir mischen uns nicht in diese Angelegenheiten der Sterblichen«, erwiderte Jiriki ein wenig steif.
»Du bist unser Freund, Seoman«, fügte Aditu hinzu. »Was immer wir tun können, um dir in diesen Zeiten zu helfen, werden wir tun. Aber wir achten auch Miriamel hoch, obwohl wir sie nur wenig kennen.« Simon blickte auf den Troll. »Binabik?«
Der Kleine zuckte die Achseln. »Ich kann es nicht sagen. Isgrimnur und ihr anderen müsst selbst die Entscheidungen beschließen. Ihr seid beide meine Freunde, du und Miriamel. Wenn es dich später nach Rat verlangt, werden wir Qantaqa zu einem Spaziergang führen und miteinander reden.«
»Worüber reden? Dass die Leute Lügen über Miriamel erzählen?«
Isgrimnur hüstelte. »Er meint, dass er mit Euch darüber sprechen will, ob Ihr die Krone von Erkynland annehmt.«
Simon fuhr herum und starrte den Herzog ungläubig an. Selbst seine neuerworbene Reife half ihm diesmal nicht, seine Gefühle zu verbergen. »Ihr wollt … Ihr wollt mir den Thron anbieten?«, fragte er höhnisch. »Mir, einem Küchenjungen?«
Isgrimnur musste lächeln. »Ihr seid weit mehr als ein Küchenjunge. Schon jetzt handeln die Lieder und Geschichten zwischen hier und Nabban nur noch von Euren Heldentaten. Wartet nur ab, bis auch noch die Schlacht im Turm dazukommt.«
»Ädon behüte mich«, knurrte Simon angewidert.
»Aber es gibt wichtigere Gründe.« Der Herzog wurde wieder ernst. »Ihr seid beliebt und bekannt. Nicht
Weitere Kostenlose Bücher