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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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warum, packte Simon das Ohr des Mannes – ganz so, wie Rachel der Drache es viele Male mit einem aufsässigen Küchenjungen getan hatte – und verdrehte es, bis der andere ihm das Gesicht zuwandte.
    Sein Gefangener war ein alter Mann. Die Augen, weit aufgerissen, blinzelten wild. »Hat nichts Böses gewollt, der alte Heanwig!«, keuchte er. »Verbrennt mich nicht!«
    »Dich verbrennen? Was faselst du da? Warum hast du uns verfolgt?«
    Miriamel blickte plötzlich auf. »Simon, wir können hier nicht so einen Lärm machen. Komm, wir nehmen ihn mit.«
    »Nicht Heanwig verbrennen!«
    »Hier wird überhaupt niemand verbrannt«, knurrte Simon. Er zerrte den alten Mann gröber als nötig auf die Füße und trieb ihn vor sich her in den Schuppen. Der Eindringling schniefte und flehte um sein Leben.
    Während Simon den Alten festhielt, versuchte Miriamel, die feuchte Fackel wieder anzuzünden. Schließlich gab sie es auf und nahm eine andere aus ihrer Satteltasche. Als die Fackel brannte, ließ Simon den Gefangenen los und setzte sich mit dem Rücken gegen die Tür, damit der Mann nicht noch einmal einen Fluchtversuch unternahm.
    »Er hat keine Waffen. Ich habe seine Taschen abgetastet«, sagte er.
    »Nein, Gebieter, hab gar nichts.« Heanwig schien nicht mehr ganz so verängstigt, aber noch immer rührend bemüht, niemanden zu kränken. »Bitte lasst mich doch laufen! Ich sag’s auch keinem weiter.«
    Simon betrachtete ihn. Der alte Mann hatte die geröteten Wangen und die rote Nase eines langjährigen Trunkenbolds, und seine Augen waren trübe. Besorgt starrte er auf die Fackel, als stelle sie die größte Gefahr im Raum dar. Er sah wirklich nicht besonders bedrohlich aus, aber Simon hatte vor langer Zeit am Beispiel von Doktor Morgenes’ Wohnung – klein von außen, groß von innen – gelernt, dass die Dinge anders sein konnten, als es den Anschein hatte. »Warum bist du uns gefolgt?«, fragte er nochmals. »Und warum glaubst du, wir würden dich verbrennen?«
    »Braucht keinen zu verbrennen, gar keinen«, erwiderte der Alte. »Der alte Heanwig hat nichts Böses vor. Er erzählt’s keinem.«
    »Beantworte meine Frage. Was hast du hier gewollt?«
    »Hab nur einen Schlafplatz gesucht, Gebieter.« Der alte Mann wagte einen schnellen Blick durch den Schuppen. »Hab schon früher ab und zu hier übernachtet. Wollte heut Nacht nicht draußen bleiben, o nein, nicht heut Nacht.«
    »Warst du es, der uns im Wald verfolgt hat? Letzte Nacht bei unserem Lager?«
    Der Alte schaute überrascht zu ihm auf. »Im Wald? Im Altherz? Da geht Heanwig nicht hin. Da sind … Wesen … Ungeheuer … Tiere … das ist ein schlimmer Ort, Gebieter. Ihr solltet da nicht hingehen, in den Altherz.«
    »Ich glaube, er sagt die Wahrheit«, meinte jetzt Miriamel. »Er wollte wohl wirklich nur hier schlafen.« Sie fischte den Wasserschlauch aus ihrer Satteltasche und reichte ihn dem Alten, der ihn misstrauisch beäugte. Miriamel verstand sofort, setzte den Schlauch selbst an den Mund, trank und gab ihn Heanwig weiter. Beruhigt nahm der Alte einen kräftigen Zug und warf ihr dann einen so anklagenden Blick zu, als hätte er seine Furcht vor Gift bestätigt gefunden.
    »Wasser«, murmelte er verdrießlich.
    Miriamel sah ihn nur an, aber Simon begann zu grinsen. Er beugte sich vor und holte den zweiten Lederschlauch heraus, den sie für kalte Nächte oder schmerzhafte Verletzungen aufgehoben hatten. Simon goss ein wenig von dem roten Perdruin in eine Schale und hielt sie so, dass der alte Mann den Inhalt sehen konnte. Heanwig griff mit zitternden Fingern zu, aber Simon zog die Schale zurück.
    »Zuerst beantwortest du unsere Fragen. Du schwörst, dass du uns nicht gesucht hast?«
    Heanwig schüttelte entschieden den Kopf. »Hab euch noch nie gesehen. Werd mich später nicht an euch erinnern. Versprochen.«
    Die dürren Hände unternahmen einen zweiten Vorstoß.
    »Noch nicht. Warum hast du gedacht, wir wollten dich verbrennen?«
    Der Gefangene starrte auf ihn, dann auf den Wein, sichtlich verunsichert.»Dachte, ihr gehörtet zu den Feuertänzern«, erklärte er widerwillig. »Dachte, ihr wolltet mich verbrennen wie den alten Wiclaf … Erster Hammermann war er, oben im Steinbruch.«
    Verwirrt schüttelte Simon den Kopf, aber Miriamel, Furcht und Abscheu im Gesicht, beugte sich näher. »Feuertänzer? Gibt es hier Feuertänzer?«
    Der alte Mann sah sie an, als hätte sie ihn gefragt, ob Fische schwimmen können. »Die ganze Stadt steckt voll von ihnen.

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