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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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können wir sie das nächste Mal, wenn wir sie brauchen, leichter anzünden.«
    »Jawohl, Herrin«, sagte er gereizt. Ein Zischen, und das Licht ging aus. Gleich darauf hörte sie ihn wieder zu seinem Schlafplatz krabbeln.
    »Gute Nacht, Simon.«
    »Gute Nacht.« Es klang zornig.
    Miriamel lag im Dunkeln und dachte über Simons Frage nach. Würde sie es ihm überhaupt begreiflich machen können? Musste es nicht jedem Außenstehenden unsinnig vorkommen? Es war ihr Vater, der den Krieg angefangen – oder besser gesagt, sich von Pryrates dazu hatte aufstacheln lassen. Wie also konnte sie Simon erklären, dass sie Elias sehen und mit ihm sprechen musste? Es würde sich nicht nur töricht anhören, sondern wie vollkommener, kopfloser Wahnwitz.
    Und vielleicht ist es das ja sogar, dachte sie trübe. Vielleicht rede ichmir ja nur etwas ein. Vielleicht falle ich Pryrates in die Hände und bekomme meinen Vater überhaupt nicht zu sehen. Und was dann? Dieses Ungeheuer im roten Rock würde jedes einzelne von Josuas Geheimnissen, das ich kenne, aus mir herauspressen.
    Sie schauderte. Warum sagte sie Simon nicht, was sie vorhatte? Und viel wichtiger, warum hatte sie es ihrem Onkel Josua nicht erzählt, anstatt einfach davonzulaufen? Schon das wenige, das sie ihm angedeutet hatte, war genug gewesen, ihn wütend und misstrauisch zu machen … aber vielleicht hatte er recht gehabt. Woher nahm sie, eine junge Frau, das Recht, darüber zu entscheiden, was für ihren Onkel und alle seine Anhänger richtig oder falsch war? Und tat sie nicht genau das, setzte sie nicht für eine Laune ihrer aller Leben aufs Spiel?
    Aber es ist keine Laune. Sie war zerrissen von widerstreitenden Gefühlen, zwei Seiten, die miteinander kämpften wie ihr Vater und ihr Onkel, und sie würde daran zerbrechen. Aber es ist wichtig. Nur mein Vater kann diesen Krieg beenden, und ich allein weiß, womit alles angefangen hat. Aber ich habe solche Angst …
    Die Ungeheuerlichkeit dessen, was sie getan hatte und noch tun wollte, schlug über ihr zusammen, bis sie zu ersticken glaubte. Und niemand wusste es außer ihr – niemand!
    Etwas in ihr drohte endgültig zu zerspringen. Sie holte tief und keuchend Atem.
    »Miriamel? Miriamel, fehlt Euch etwas?«
    Mühsam rang sie um Fassung und antwortete nicht. Sie hörte, wie Simon sich neben ihr bewegte. Das Stroh raschelte.
    »Habt Ihr Euch verletzt? Ein Albtraum?«
    Die Stimme klang ganz nah.
    »Nein«, ächzte sie, dann erstarb ihre Stimme im Schluchzen.
    Simons Hand berührte ihre Schulter und strich dann vorsichtig über ihr Gesicht.
    »Ihr weint ja!«, sagte er erschrocken.
    »Oh …« Miriamel konnte kaum sprechen. »Ich bin so … ich bin so … einsam . Ich will … nach Hause!« Sie setzte sich auf und senkte den Kopf, presste das Gesicht in den feuchten Mantel über ihren Knien. Ein neuer, stürmischer Weinkrampf schüttelte sie. Gleichzeitigaber stand ein anderer Teil von ihr wie ein selbständiges Wesen daneben und betrachtete sie angewidert.
    Schwach, zischte er ihr gehässig zu. Kein Wunder, dass du dein Ziel nicht erreichst. Du bist schwach!
    »Nach Hause?«, fragte Simon verwundert. »Wollt Ihr zurück zu Josua und den anderen?«
    »Nein, du Dummkopf!« Wut über ihre eigene Torheit erstickte für einen Augenblick ihr Schluchzen, sodass sie wieder Worte fand. »Ich will nach Hause! Ich will, dass alles so ist wie früher!«
    In der Dunkelheit streckte Simon einen Arm aus und zog sie an sich. Einen Augenblick wehrte sie sich und ließ dann den Kopf an seine Brust sinken. Ihr tat alles weh. »Ich werde Euch beschützen«, sagte Simon leise. Es lag etwas Sonderbares in seinem Tonfall, eine Art stiller Jubel. »Ich lasse Euch nicht allein, Miriamel.«
    Sie riss sich los. In einem dünnen Mondlichtsplitter, der durch die Schuppentür drang, konnte sie seinen Umriss erkennen, den Kopf mit den zerzausten Haaren. »Ich will aber nicht beschützt werden! Ich bin kein Kind. Ich möchte nur, dass alles wieder in Ordnung kommt.«
    Simon saß einen langen Augenblick da, ohne sich zu rühren, dann fühlte sie von neuem seinen Arm um ihre Schulter. Sie erwartete, dass er ihr ebenso zornig antworten würde, aber seine Stimme war sanft.
    »Es tut mir leid. Ich habe auch Angst. Es tut mir leid.«
    Und während er das sagte, begriff sie plötzlich, dass es Simon war, der da neben ihr saß, kein Feind. Sie lehnte sich an seine Brust, hungrig nach seiner Wärme und Vertrautheit. Ein neuer Strom von Tränen stieg in ihr auf und

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