Der Engelsturm
ihn mit strengem Blick, in dem Simon aber einen winzigen Funken wissender Erheiterung zu erkennen glaubte.
»Nein, bitte, schickt mich nicht nach draußen zu den Feuertänzern«, flehte Heanwig. »Sie haben Wiclaf verbrannt, ja, das haben sie. Hab’s selbst gesehen. Hat keiner Fliege was zuleide getan, der Wiclaf. Unten auf der Flaschenzugstraße haben sie ihn angesteckt und geschrien: ›Das ist die Zukunft! Das ist die Zukunft!‹« Er verstummte schaudernd, während er sich daran erinnerte. »Schickt mich nicht weg, Gebieter. Ich werd kein Wort sagen, nie.« Seine jähe Aufrichtigkeit war unmissverständlich.
Simon schaute auf Miriamel, auf den Alten und wieder auf die Prinzessin. Man hatte ihn sauber ausmanövriert. »Na gut«, knurrte er. »Aber ich halte die erste Wache, Alter, und wenn du auch nur eine verdächtige Bewegung machst, fliegst du zur Tür hinaus, und zwar so schnell, dass dir der Kopf brummt.«
Er warf einen letzten Blick voller Groll und Sehnsucht auf Miriamel und lehnte sich zurück an die Schuppentür.
Früh am nächsten Morgen wachte Simon auf. Miriamel und der alte Mann waren bereits auf den Beinen und in ein freundschaftliches Gespräch vertieft. Er fand, dass Heanwig bei Tageslicht noch weniger einnehmend aussah. Die runzligen Züge waren mit Erde verschmiert,die Kleidung so zerlumpt und schmutzig, dass selbst die Armut es nicht mehr entschuldigen konnte.
»Du solltest mit uns gehen, Heanwig«, sagte Miriamel gerade. »Du wärst sicherer als allein. Bleib wenigstens bei uns, bis wir die Feuertänzer hinter uns gelassen haben.«
Der Alte wiegte zweifelnd den Kopf. »Diese Verrückten sind heutzutage fast überall.«
Simon setzte sich auf. Sein Mund war trocken, und sein Kopf tat so weh, als ob er der Trunkenbold der Gesellschaft wäre. »Was sagt Ihr da? Ihr könnt ihn doch nicht mitnehmen!«
»Und ob ich das kann«, versetzte Miriamel kühl. »Du darfst mich begleiten, Simon, aber du hast mir nicht vorzuschreiben, wohin ich gehe und wen ich mitnehme.«
Simon sah sie an und spürte, dass er in diesem Kampf nicht gewinnen konnte, ganz gleich, wie er sich verhielt. Er war noch dabei, sich seine nächsten Worte zu überlegen, als ihm Heanwig die sinnlose Auseinandersetzung ersparte.
»Wollt ihr nach Nabban?«, fragte er. »Da bin ich noch nie gewesen.«
»Wir gehen nach Falshire«, antwortete Miriamel, »und von dort ins Hasutal.«
Simon wollte sie gerade tadeln, weil sie diesem wildfremden Menschen so offen ihre Reisepläne erzählte – was war aus der unbedingten Notwendigkeit geworden, vorsichtig zu sein, die sie ihm so eingehämmert hatte? –, als der alte Mann hörbar nach Luft schnappte. Simon, schon bei der bloßen Vorstellung erbost, der alte Säufer könnte sich jetzt vor ihren Augen übergeben, fuhr herum, erschrak jedoch vor dem Ausdruck des Grauens auf Heanwigs fleckigem Gesicht.
»Ins Hasutal?« Seine Stimme wurde schrill. »Seid ihr von Sinnen? Das ganze Tal ist voller Spuk!« Er krabbelte eine Elle näher zur Tür und suchte vergeblich im schimmligen Stroh nach einem Halt, als hätten die beiden ihm gedroht, ihn mit Gewalt an den verhassten Ort zu schleifen. »Da würde ich ja noch lieber auf allen vieren in den Steinbruch zu den Feuertänzern kriechen!«
»Was meinst du mit Spuk?«, fragte Miriamel. »Man hat uns das schon einmal erzählt. Was soll es bedeuten?«
Der alte Mann stierte sie an, und seine Augen waren so verdreht, dass man das Weiße sehen konnte. »Spuk! Böse Geister, Unholde vom Friedhof! Hexen und Zauberer!«
Miriamel sah ihn scharf an. Nach einem Jahr wie dem letzten war sie nicht mehr so schnell bereit, Gerede dieser Art als bloßen Aberglauben abzutun. »Wir reiten dorthin«, sagte sie nach einer Weile. »Wir müssen. Aber du brauchst nicht weiter mitzukommen, als du willst.« Heanwig stand unsicher auf. »Will nicht nach Westen. Heanwig bleibt hier. Gibt immer noch Leute in Stanshire, die einen Bissen entbehren können, oder einen guten Tropfen, sogar in diesen schlechten Zeiten.« Er schüttelte den Kopf. »Geht nicht dorthin, junge Gebieterin. Ihr seid freundlich zu mir gewesen.«
Er blickte bedeutungsvoll auf Simon, um anzudeuten, von wem man das nicht gerade sagen konnte.
Der alte Säufer, dachte Simon mürrisch. Wer hat ihm denn den Wein gegeben? Und wer hat ihm nicht den Schädel eingeschlagen, obwohl er es gekonnt hätte?
»Reitet nach Süden, da wird es euch gefallen«, fuhr Heanwig beinahe flehend fort. »Bleibt weg vom
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