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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Haben mich gejagt, Heanwig gejagt. Aber ich hab mich versteckt!« Er lächelte matt, aber seine Augen waren wachsam und berechnend. »Sind heut Nacht im Steinbruch, tanzen und beten zu ihrem Sturmherrn.«
    »Der Steinbruch!«, hauchte Miriamel. »Das also waren die Lichter!«
    Simon wusste immer noch nicht recht, ob er dem Gefangenen trauen sollte. Irgendetwas störte ihn, wie eine Fliege, die einem ins Ohr summt, aber er fand nicht heraus, was es war. »Wenn er die Wahrheit sagt.«
    »Ich sag aber die Wahrheit«, beharrte Heanwig. Er versuchte sich gerade aufzurichten und heftete die trüben Augen auf Simon. »Ich kam hierher, um eine Mütze voll Schlaf zu nehmen, da hab ich euch gehört. Dachte, es wären die Feuertänzer – treiben sich nachts in der ganzen Stadt herum. Leute mit Häusern verrammeln die Türen, versteht ihr, aber Heanwig hat kein Haus mehr. Da bin ich weggerannt.«
    »Gib ihm den Wein, Simon«, sagte Miriamel. »Sei nicht grausam. Er ist nur ein erschrockener alter Mann.«
    Simon verzog das Gesicht und reichte Heanwig die Schale. Der Alte roch daran, und ein Ausdruck des Entzückens trat auf seine altersfleckigen Züge. Er hielt die Schale schräg und trank durstig.
    »Die Feuertänzer!« Miriamel umarmte sich selbst. »Barmherzige Mutter! Simon, sie dürfen uns nicht fangen. Sie sind alle wahnsinnig. Ein paar von ihnen haben in Kwanitupul Tiamak überfallen, und ich habe welche gesehen, die sich selber anzündeten und verbrannten.«
    Simon schaute von Miriamel zu dem Alten, der seine runzligenLippen mit einer Zunge ableckte, die aussah wie das Innere einer Miesmuschel. Er verspürte einen erstaunlichen Drang, dem alten Säufer einen ordentlichen Fausthieb zu versetzen, obwohl der Mann ihnen eigentlich gar nichts getan hatte. Jäh fiel ihm ein, wie er das Schwert erhoben und in einem Anfall von Wut diesen armen Wicht vielleicht sogar erschlagen hätte, und er schämte sich entsetzlich.
    Was war das für ein Ritter, der einen schwächlichen alten Trunkenbold töten würde?
    Aber welches üble Verhängnis hatte den Alten auch angestiftet, gerade in dem Augenblick die Pferde zu erschrecken und Zweige zu knicken, als Simon endlich Miriamel in den Armen hielt? Als sie sich geküsst hatten? Jawohl, die Prinzessin, die schöne Miriamel hatte Simon geküsst!
    Von dem alten Mann blickte er wieder auf sie. Auch sie hatte zugeschaut, wie Heanwig die Schale leerte, jetzt aber huschten ihre Augen hinüber zu Simon, und selbst im Schein der Fackel konnte er sehen, wie sie errötete. Grausames Schicksal … aber noch vor kurzem war es gütig gewesen. O süßes Schicksal, süßes Glück!
    Unvermittelt musste Simon lachen. Der größere Teil seines Zorns verflog wie Spreu im Wind. Das lieblichste Mädchen der ganzen Ädonheit, klug und schnell – und sie hatte ihn geküsst! Er spürte noch die Rundung ihres Gesichts an seinen Fingerspitzen. Mit welchem Recht beschwerte er sich eigentlich?
    »Und was machen wir nun?«, fragte er.
    Miriamel wich seinem Blick aus. »Wir bleiben heute Nacht hier. Und morgen sehen wir zu, dass wir so weit wie möglich von den Feuertänzern fortkommen.«
    Simon warf einen Seitenblick auf Heanwig, der hoffnungsvoll die Satteltaschen musterte. »Und er?«
    »Er bleibt auch.«
    »Und wenn er den ganzen Wein austrinkt und uns dann im Schlaf erwürgt?«, protestierte Simon. Selbst ihm kam es reichlich albern vor, so etwas über einen dürren, bibbernden Alten zu sagen, aber er wünschte sich verzweifelt, wieder mit Miriamel allein zu sein.
    Als ob sie seine Absicht erraten hätte und sie vereiteln wollte, versetzte Miriamel: »Er wird nichts dergleichen tun. Und wir könnenabwechselnd schlafen. Fühlst du dich dann sicherer, Simon? Du kannst ja auf den Wein aufpassen.«
    Der Gefangene sah von einem zum anderen und versuchte offenbar herauszufinden, wo die Schlachtlinie verlief. »Der alte Heanwig wird euch nicht stören. Ihr braucht nicht zu wachen, junge Gebieter. Ihr seid müde. Ein alter Kerl wie ich braucht keinen Schlaf. Ich bleibe auf und achte auf die Feuertänzer.«
    »Davon bin ich überzeugt«, schnaubte Simon verächtlich. »Werfen wir ihn lieber hinaus, Miriamel. Wenn er uns nicht verfolgt hat, gibt es auch keinen Grund, ihn hier festzuhalten.«
    »O doch. Es gibt sogar einen sehr guten Grund. Er ist ein alter Mann und hat Angst. Simon, du vergisst, dass ich im Gegensatz zu dir die Feuertänzer gesehen habe. Sei nicht grausam, nur weil du schlechte Laune hast.« Sie betrachtete

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