Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
als er etwas erzählte, das ihm Morgenes einmal über die Wunder des Bienenstocks gesagt hatte.
    Miriamel merkte überrascht, wie er um Fassung rang. Danach betrachtete sie ihn mit einem seltsamen Blick, den er bei ihr noch nie gesehen hatte. Zuerst schämte er sich, aber er konnte in ihrem Gesicht kein Anzeichen der Geringschätzung entdecken.
    »Ich wünschte, er wäre mein Vater oder Großvater gewesen«, meinte er später, als sie schon in ihren Decken lagen. Obwohl Miriamel sich wie üblich eine Armlänge entfernt von ihm gebettet hatte, fühlte er sich ihr in gewisser Weise näher als jemals wieder nach der Nacht, in der sie sich geküsst hatten. Zwar hatte er sie danach noch einmal in den Armen gehalten, aber da hatte sie geschlafen. Nun lag sie in der Dunkelheit neben ihm, und er hatte beinahe das Gefühl, als wachse ein unausgesprochenes Einverständnis zwischen ihnen. »Er war so gütig zu mir. Ich wäre glücklich, wenn er noch lebte.«
    »Er war ein guter Mensch.«
    »Er war mehr als das. Er war … er war ein Mensch, der das Richtige tat, wenn es am nötigsten war.« Simons Brust wurde eng. »Er starb, damit Josua und ich entkommen konnten. Er hat mich behandelt wie … wie seinen eigenen Sohn. Es ist so ungerecht. Er hätte nicht sterben dürfen.«
    »Niemand sollte sterben«, erwiderte Miriamel langsam. »Vor allem nicht, wenn er noch lebt.«
    Verwirrt von dieser Bemerkung, lag Simon eine Weile schweigend da. Bevor er sie fragen konnte, was sie meinte, spürte er ihre kühlen Finger, die seine Hand berührten und sich in seine Handfläche schmiegten.
    »Schlaf gut«, murmelte sie.
    Als sein Herz wieder langsamer schlug, war ihre Hand noch da. Endlich schlief er ein und hielt sie dabei weiter umschlossen, so sacht wie einen jungen Vogel.
     
    Es gab noch andere Plagen als den Regen und den grauen Nebel. Das Land selbst war unter dem schlechten Wetter fast erstarrt, eine öde Landschaft aus Steinen, Knochen und Spinnweben. Die Leute in den Ortschaften machten einen müden, furchtsamen Eindruck undschienen nicht einmal Lust zu haben, Simon und Miriamel die Neugier und das Misstrauen zu widmen, die Fremden üblicherweise zukamen. Nachts waren alle Fensterläden verschlossen, die schmutzigen Straßen leer. Simon kam es vor, als ritten sie durch Geisterdörfer, deren wirkliche Einwohner sie längst aufgegeben und nur die körperlosen Schatten früherer Generationen zurückgelassen hatten, verdammt zum trägen, sinnlosen Herumspuken in ihren einstigen Behausungen.
    Am trüben Nachmittag des siebten Tages seit Stanshire umrundeten Simon und Miriamel eine Biegung der Flussstraße und sahen vor sich am westlichen Horizont die viereckige, klobige Masse der Burg von Falshire aufragen. Einst hatte grünes Weideland den Burgberg verhüllt wie die Schleppe eines Königs. Jetzt aber waren trotz des vielen Regens die Hänge kahl, und an einigen Stellen gleich unterhalb des Gipfels lag sogar noch Schnee. Am Fuß des Berges erstreckte sich die Stadt mit ihren Mauern, zu beiden Seiten des Flusses, der ihre Lebensader bildete. In den Docks am Ufer lud man Häute und Wolle aus Falshire auf Boote, die bis hinab zum Kynslagh und noch weiter fuhren und mit dem Gold und den anderen Gütern heimkehrten. Es waren diese Boote, die Falshire von jeher zu einer der reichsten Städte in Osten Ard gemacht hatten, einer Stadt, die in Erkynland an Bedeutung nur noch von Erchester übertroffen wurde.
    »Die Burg hat Fengbald gehört«, erklärte Miriamel. »Wenn ich mir vorstelle, dass mein Vater mich mit ihm verheiraten wollte! Ich möchte wissen, wer von seiner Familie jetzt dort oben den Herrn spielt.« Sie presste die Lippen zusammen. »Wenn der neue Gebieter auch nur entfernt dem alten gleicht, dann hoffe ich, dass ihm das ganze Gemäuer über dem Kopf zusammenfällt.«
    Simon spähte in das diffuse Westlicht, in dem die Burg wie eine merkwürdig geformte, dunkle Felsklippe aussah, und wies dann, um Miriamel auf andere Gedanken zu bringen, nach unten auf die Stadt. »Wir könnten vor Einbruch der Dunkelheit dort sein. Und endlich wieder einmal was Richtiges essen!«
    »Männer denken immer bloß an ihren Bauch.«
    Simon fand diese Behauptung ungerecht, freute sich aber andererseits,ein Mann genannt zu werden, und lächelte. »Und wie wäre es mit einer trockenen Nacht in einer warmen Herberge?«
    Miriamel schüttelte den Kopf. »Wir haben bisher Glück gehabt, Simon, aber wir kommen dem Hochhorst jetzt jeden Tag näher. Ich bin viele

Weitere Kostenlose Bücher