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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schön, aber schwer zu durchschauen. Was ging in ihrem Kopf vor? Wie konnte sie sich so an ihn schmiegen und später kein Wort darüber verlieren, sodass er sich fragen musste, ob er alles nur geträumt hatte oder im Begriff war, den Verstand zu verlieren? Fest stand, dass sie seinen Kuss heftig erwidert hatte, wie er von Simon kam. Und sowenig er auch von Frauen und vom Küssen wusste, er konnte nicht glauben, dass die Art, wie sie reagiert hatte, gar nichts zu bedeuten hatte.
    Warum frage ich sie nicht? Ich werde verrückt, wenn ich es nicht tue. Aber wenn sie mich auslacht – oder böse wird – oder sich gar nicht erinnert?
    Bei der Vorstellung, dass Miriamel seine starken Gefühle vielleicht nicht teilte, überlief es ihn kalt. Jäh ließ er seine Absicht fallen, sie zum Reden zu bringen. Er wollte doch lieber noch eine Weile über alles nachdenken.
    Aber ich möchte sie wieder küssen.
    Er seufzte. Der Laut ging im zischenden Regen unter.
     
    Die Flussstraße war morastig und fast verödet. Wie Simon vorausgesagt hatte, begegneten sie den ganzen Tag lang nicht einmal einem Dutzend anderer Reisender, und nur einer davon unterzog sich der Anstrengung, sie mit mehr als einem Kopfnicken zu grüßen. Es war ein kleiner, krummbeiniger Bursche, dessen lendenlahmer Gaul einen Planwagen voller Hausiererwaren zog.
    Simon, der mehr über die Strecke zu erfahren hoffte, die vor ihnen lag, fasste bei seinen freundlichen Worten Mut und lud den Mann ein, bei ihnen haltzumachen. Der Hausierer, anscheinend froh über ein Schwätzchen, blieb im strömenden Regen stehen und erklärte ihnen, dass ein Weghaus in der Nähe sei, das sie kurz nach Sonnenuntergang erreichen müssten. Er berichtete, er komme gerade aus Falshire, und schilderte die Stadt als ruhig und seine Geschäfte dort als schlecht. Nachdem Simon sich unauffällig vergewissert hatte, dass Miriamel einverstanden war, lud er den Mann ein, sich mit ihnen unter ein paar Kiefern zu setzen, die den größten Teil des Regens abhielten. Sie reichten ihm den Weinschlauch, und während ihr neuer Bekannter ein paar kräftige Schlucke nahm, wiederholte Simon seine Geschichte vom wandernden Wachszieher.
    »Besten Dank.« Der Hausierer gab den Weinschlauch zurück.
    »Gut gegen die Kälte, das Zeug.« Er nickte. »Da hofft ihr wohl auf ein bisschen Handel zum Sankt-Tunath-Tag und zu Ädonmansa? Na, viel Glück. Aber wenn ihr mir den unerbetenen Rat verzeihen wollt – ihr solltet lieber nicht weiter nach Westen gehen als bis Falshire.«
    Simon und Miriamel wechselten einen kurzen Blick. »Und warum?«, fragte Simon.
    »Nun, die Leute sagen, es wäre schlimm dort.« Das Grinsen des Hausierers hatte etwas Gezwungenes. »Ihr kennt ja die Geschichten – Räuber und Banditen, Gerüchte über sonderbare Vorfälle in den Bergen.« Er zuckte die Achseln.
    Simon drängte auf Einzelheiten, aber der Hausierer schien zu weiteren Erklärungen keine Lust zu haben. Simon hatte noch nie voneinem wandernden Hausierer gehört, der nicht begeistert einen ihm angebotenen Weinschlauch geleert und seine Zuhörer mit Reiseabenteuern unterhalten hätte. Ob dieser hier nun eine Ausnahme von der Regel darstellte, oder ob ihn etwas so beunruhigt hatte, dass er lieber schwieg, konnte Simon nicht feststellen. Der Hausierer machte einen vernünftigen Eindruck.
    »Wir wollen nichts weiter als ein Dach über dem Kopf und ab und zu für ein paar Fithings Arbeit«, sagte Simon.
    Der Hausierer betrachtete mit hochgezogenen Brauen das Schwert an Simons Gürtel und das Metall des Panzerhemdes, das aus seinen Ärmeln lugte. »Du bist nicht schlecht gerüstet fürs Kerzenmachen, mein junger Freund«, bemerkte er gutmütig. »Aber daran erkennt man, wie es heutzutage auf den Straßen zugeht.« Er nickte vorsichtig, wie um anzudeuten, dass er, was immer er auch von einem Wachszieher, der bewaffnet war wie ein Ritter – wenn auch ein zerlumpter Ritter –, halten mochte, keinen Grund sah, weitere Fragen zu stellen.
    Simon, der sehr wohl begriff, was er ihm damit zu verstehen gab – nämlich dass er von ihm die gleiche höfliche Gleichgültigkeit erwartete –, bot dem Hausierer, als sie alle wieder zur Straße zurückgingen, zum Abschied die Hand.
    »Braucht ihr vielleicht noch etwas?«, fragte der Mann und ergriff die Zügel seines Pferdes, das geduldig im Regen gewartet hatte. »Ich habe ein paar Sachen von Leuten eingetauscht, die nicht einmal mit einem Cintis-Stück bezahlen konnten – ein bisschen Gemüse, ein

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