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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Wachmann der scuola, der einen weinroten Blazer trug.
    »Ich habe für heute abend zwei Programme drucken lassen«, sagte Cordoni vorsichtig. »Eines mit dem ›Teufelstriller‹, eines ohne ihn. Der Einlaß beginnt in fünf Minuten.«
    Anna sah erst zu Gabriel, dann zu Fiona Richardson hinüber.

    »Ich glaube, ohne Tartini wäre ein Konzertabend in Venedig unvollständig. Lassen Sie das Programm mit dem ›Teufelstriller‹ verteilen.«
    »Bist du dir deiner Sache sicher, Anna?« fragte Fiona.
    »Todsicher.«
    »Wie Sie wünschen«, sagte Zaccaria Cordoni.
    Sobald der Konzertveranstalter und ihre Managerin gegangen waren, zog Anna ihren Mantel aus und ließ die Schlösser des Geigenkastens der Guarneri aufschnappen. Als Gabriel sich in einen Sessel fallen ließ, stemmte sie ihre Arme in die Hüften und funkelte ihn an.
    »Was hast du vor, mein Lieber?«
    »Ich bleibe hier bei dir.«
    »Kommt nicht in Frage! Ich muß mich auf meinen Auftritt konzentrieren. Ich kann's nicht haben, daß du hier herumhockst und mich ablenkst.«
    »Heute abend wirst du eine Ausnahme machen müssen, fürchte ich.«
    »Beantworte mir eine Frage, Gabriel. Nehmen wir mal an, du würdest einen der Tintorettos dort draußen restaurieren - wär's dir dann recht, wenn ich dir dabei über die Schulter sähe?«
    »Ich verstehe, was du meinst.«
    »Gut. Und jetzt verschwinde!«
    Anna besaß eine spezielle Gabe: die Fähigkeit, alle Störungen auszublenden; die Kraft, sich mit einer undurchdringlichen Sphäre aus Stille zu umgeben, sich in einem Kokon einzuschließen. Diese Fähigkeit hatte sie am Morgen nach dem Selbstmord ihrer Mutter entdeckt. Eine einfache Tonleiter – g-moll, über zwei Oktaven gespielt, hinauf und wieder hinunter - reichte aus, um sie durch ein mystisches Portal in ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum eintreten zu lassen. Leider erstreckte ihre Fähigkeit, eine mustergültig geordnete Sphäre der Stille zu schaffen, sich nur auf ihr Geigenspiel, so daß es in ihrem übrigen Leben weiß Gott immer ziemlich chaotisch zuging.
    Sie kannte Musiker, die ihr Instrument im Lauf der Zeit hassen gelernt hatten. Für Anna war das eine undenkbare Vorstellung. Ihre Violine war der Anker, der verhinderte, daß sie an den Felsen strandete - eine Rettungsleine, die sie jedesmal in Sicherheit zog, wenn sie zu ertrinken drohte. Solange sie ihre Violine in den Händen hielt, passierte nur Gutes. Erst wenn sie ihr Instrument weglegte, gerieten die Dinge außer Kontrolle.
    Aber sie entstand nicht von selbst, diese mystische Sphäre.
    Sie mußte heraufbeschworen werden. Anna drückte ihre Zigarette aus und hängte ihren Mantel über die Lehne eines Rokokostuhls. Dann streifte sie ihre Armbanduhr ab und ließ sie in ihre Umhängetasche fallen. Sie brauchte nicht mehr zu wissen, wie spät es genau war - sie würde sich für einen Augenblick ihre eigene Zeit erschaffen, für einen Augenblick, der nur einmal existieren und nie wiederkehren würde.
    Anna hatte beschlossen, heute abend auf der Guarneri zu spielen. Das erschien ihr nur passend, denn schließlich war dieses Instrument vor zweihundertfünfzig Jahren vermutlich in einer Werkstatt im oberitalienischen Cremona gebaut worden.
    Sie klappte den Geigenkasten auf und ließ einen Zeigefinger über das leuchtend goldbraune Instrument gleiten: die Schnecke, den Hals, den Steg, den Resonanzkörper. Sie war eine Dame, die Guarneri Anna Rolfes. Würdevoll und elegant, ohne Fehler oder Makel, ohne Narben.
    Sie nahm die Violine aus dem Kasten und klemmte sich die Kinnstütze unters Kinn, so daß der Untersattel gegen die vertraute Stelle über ihrem linken Schlüsselbein drückte. Ihr Kleid war trägerlos, denn sie mochte nichts zwischen ihrem Körper und ihrem Instrument haben. Anfangs fühlte die Violine sich auf Annas Haut kühl an, aber ihre Körperwärme teilte sich bald dem Holz mit. Sie legte den Bogen auf die g-Saite und spielte sie an. Die Violine reagierte mit vollem, nachhallendem Ton. Mit ihrem Ton. Anna Rolfes Ton. Das Portal zu ihrer mystischen Sphäre stand jetzt offen.
    Einmal gestattete sie sich einen Blick auf ihre Hand. Die Narben waren so häßlich. Anna wünschte sich, sie könnte sie irgendwie verbergen. Dann verdrängte sie diesen Gedanken wieder. Schließlich spielte nicht ihre Hand die Violine; ihr Spiel kam aus dem Kopf. Ihre Finger würden ihrem Gehirn gehorchen.
    Anna knipste das Licht aus, schloß die Augen und führte den Bogen langsam über die Saiten. Sie spielte keine

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