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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Beschädigungen waren noch da, das wußte er, aber sie waren nun verborgen, wie bei einer perfekten Restaurierung mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar.
    Jetzt spielte sie die tückische absteigende chromatische Tonleiter, die den ersten Satz beschloß. Nach kurzer Pause begann sie den schalkhaften zweiten Satz, der schneller und voller schwieriger Griffwechsel war, bei denen Annas Hand mehrfach von der ersten in die fünfte Stellung und von der g-Saite zur e-Saite wechseln mußte. Als sich dann achtzehn Minuten später der dritte Satz in dem Arpeggio-Schlußakkord in g-moll auflöste, brach das Publikum in jubelnden Beifall aus.
    Anna ließ ihre Violine sinken und atmete mehrmals tief durch. Erst dann öffnete sie die Augen. Sie bedankte sich mit einer angedeuteten Verbeugung für den Beifall. Falls sie dabei zu Gabriel hinübersah, nahm er nichts davon wahr, denn er hatte ihr den Rücken zugekehrt, suchte erneut den Saal ab und hielt Ausschau nach einem Mann mit einer Schußwaffe.

39 - VENEDIG
    Der Campo San Rocco lag in stetigem Regen. Aber selbst das miserable Wetter konnte die Begeisterung der vielen Menschen nicht dämpfen, die dort lange nach dem Konzert ausharrten, weil sie hofften, noch einen letzten Blick auf Anna Rolfe zu erhaschen. Die Atmosphäre war wie elektrisch geladen. Nach Tartinis ›Teufelstriller‹ war Annas langjährige Begleiterin, die Pianistin Nadine Rosenberg, mit aufs Podium gekommen, und die beiden hatten Johannes Brahms' Sonate Nr. 1 für Violine und Klavier in d-Moll und Pablo Sarasates Zigeunerweisen gespielt.
    Das letzte Werk des Abends, Nicolo Paganinis dämonisches Solo Capriccio Nr. 24, hatte das Konzertpublikum zu Beifallsstürmen hingerissen.
    Anna Rolfe wußte nichts von der Menge, die unten auf dem Platz aus harrte. In diesem Augenblick stand sie mit Zaccaria Cordoni und Fiona Richardson in der Galerie hinter dem Saal.
    Fiona hatte ihr Handy am Ohr und telefonierte angeregt auf deutsch. Anna rauchte eine wohlverdiente Gitane und versuchte, von dem Hochgefühl ihres Auftritts herunterzukommen. Sie hielt weiter ihre Violine unter dem Arm. Die alte Guarneri war heute abend gut zu ihr gewesen. Deshalb wollte Anna sie noch etwas länger bei sich haben.
    Gabriel, der sich diskret im Hintergrund hielt, beobachtete sie aufmerksam. Anna lächelte, als sie seinem Blick begegnete. Sie sagte unhörbar: Danke! und warf ihm eine Kußhand zu. Fiona beendete ihr Gespräch und ließ das Handy in ihre Handtasche gleiten.
    »Dein heutiger Erfolg hat sich schnell herumgesprochen, meine Liebe. Du hast einen ziemlich hektischen Winter vor dir.
    Paris, Brüssel, Stockholm und Berlin. Und das ist nur die erste Woche!«

    »Ich weiß nicht recht, ob ich wirklich schon soweit bin, daß ich wieder aufs Karussell steigen kann, Fiona.«
    Zaccaria Cordoni legte ihr väterlich eine Hand auf die Schulter. »Wenn ich mir ein Urteil gestatten darf, sind Sie eindeutig wieder soweit. Der heutige Abend war sensationell.
    Sie haben wie eine Besessene gespielt.«
    »Vielleicht bin ich besessen«, sagte sie schalkhaft.
    Fiona sah zu Gabriel hinüber und lächelte. »Willst du uns nicht mehr über deinen geheimnisvollen Franzosen erzählen - den gutaussehenden Monsieur Dumont?«
    »Was ich wirklich möchte, sind ein paar ruhige Minuten mit ihm allein.«
    Sie trat auf Gabriel zu und nahm ihn an der Hand. Fiona und Cordoni sahen ihnen nach, als sie zu dem Salon gingen, der Anna als Garderobe diente. Fiona runzelte die Stirn.
    »Ich will nur hoffen, daß dieser Monsieur Dumont wer immer er sein mag - ihr nicht wie die anderen Kerle das Herz bricht.
    Sie gleicht einem feinen Kristallglas: schön, aber sehr zerbrechlich. Und wenn dieser Schweinehund ihr das Herz bricht, bringe ich ihn um!«
    Anna schloß die Tür ihrer Garderobe und sank in Gabriels Arme.
    »Du hast herrlich gespielt.«
    »Ohne dich hätte ich's nicht gekonnt.«
    »Ich habe nur aufgepaßt, daß dir nichts passiert. Deinen Erfolg verdankst du dir allein.«'
    »Ich wollte, wir könnten ihn gemeinsam feiern.«
    »Du verläßt die Stadt mit dem nächsten Flugzeug. Und ich habe meinen Auftrag auszuführen.«
    »War er heute abend hier?«

    »Der Killer?«
    Sie nickte mit an seine Brust gepreßtem Kopf.
    »Das weiß ich nicht, Anna.«
    Plötzlich erschöpft ließ sie sich in einen Sessel sinken. Auf dem niedrigen Tischchen vor ihr lag der Geigenkasten der Guarneri. Sie ließ die Schlösser aufschnappen und klappte den Deckel auf. In dem Kasten lag ein mit dem

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