Der Engländer
stummes Dankgebet.
Gabriel begleitete Anna durch die Hotelhalle zur Anlegestelle hinaus. Jonathan ging einige Schritte vor ihnen her; Deborah folgte ihnen mit der Guarneri in der linken und der Stradivari in der rechten Hand mit einigen Schritten Abstand. Brunetti hob grüßend die Rechte und wünschte Anna alles Gute und viel Erfolg. Die anderen Hotelangestellten applaudierten ihr diskret.
Anna lächelte dankend und schlug die Kapuze ihres Mantels hoch.
Am Bootssteg des Hotels warteten drei Wassertaxis, deren regennasse, dunkel lackierte Rümpfe im Scheinwerferlicht glänzten, mit im Leerlauf tuckernden Motoren. Jonathan trat als erster ins Freie, dann folgte Gabriel. Ein Blick nach rechts zeigte ihm Mosche und Itzhak, die auf der Fußgängerbrücke an der Einmündung zum Canal Grande standen. Itzhak signalisierte Gabriel mit hochgerecktem Daumen, bei ihnen sei alles in Ordnung. Mosche sah in die entgegengesetzte Richtung; er behielt die Menge an der Vaporetto -Anlegestelle San Marco im Auge.
Gabriel drehte sich um und machte Anna ein Zeichen, sie könne jetzt nachkommen. Er ließ zu, daß der Führer des zweiten Wassertaxis ihr an Bord half, und folgte ihr in die Kabine.
Jonathan und Deborah stiegen ins erste Wassertaxi. Mosche und Itzhak blieben auf der Brücke, bis die Boote unter ihr hindurchgefahren waren. Dann gingen sie eine Treppe hinunter und bestiegen das dritte Wassertaxi.
Gabriel sah auf seine Armbanduhr: 19 Uhr 30.
Der Canal Grande schlängelt sich in einem ehemaligen Flußbett, das dem umgekehrten S eines Kleinkindes gleicht, träge durch Venedig. Auf Gabriels Anweisung hielten die drei Wassertaxis sich in der Kanalmitte und folgten der weiten, sanften Biegung nach Nordwesten.
Gabriel blieb mit Anna bei zugezogenen Vorhängen und ausgeschalteter Beleuchtung in der Kabine. Im ersten Wassertaxi stand Jonathan neben dem Führer am Bug und beobachtete die Wasserfläche vor ihnen. Im dritten Boot erfüllten Itzhak und Mosche dieselbe Aufgabe. Alle drei waren bis auf die Haut durchnäßt, als die Wassertaxis zehn Minuten später auf den Rio della Frescada abbogen.
Hier begann das Teilstück, das Gabriel die größten Sorgen bereitete. Auf dem engen Nebenkanal würden die Boote ihre Fahrt dramatisch verlangsamen, und zwischen Canal Grande und San Rocco überspannten vier Brücken den schmalen Wasserlauf. Auf dieser Etappe herrschten ideale Voraussetzungen für einen Mordanschlag.
Gabriel klappte sein Handy auf und tippte Jonathans Kurzwahlnummer ein. Anna drückte seinen Arm.
Zaccaria Cordoni tigerte in einem schwarzen Anzug, zu dem er sein Markenzeichen - einen kastanienbraunen Seidenschal - trug, und mit einer unangezündeten Zigarette zwischen den Fingern in der Eingangshalle der Scuola Grande di San Rocco auf und ab. Fiona Richardson, Annas Managerin, hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
»Wo bleibt sie bloß?« fragte Cordoni.
»Sie ist hierher unterwegs.«
»Wissen Sie das bestimmt?«
»Sie hat mich angerufen, bevor sie das Baglioni verlassen hat.«
»Sie kneift doch nicht etwa, Fiona?«
»Nur keine Angst, sie kommt.«
»Das will ich hoffen! Versetzt Sie mich heute, sorge ich dafür, daß sie in ganz Italien boykottiert wird.«
»Sie kommt rechtzeitig, Zaccaria.«
Im nächsten Augenblick betrat Anna von Gabriels Team umringt die Eingangshalle.
»Anna! Carissima!« rief Cordoni strahlend aus und küßte sie zur Begrüßung auf beide Wangen. »Sie sehen heute wieder bezaubernd aus! Was können wir noch für Sie tun, damit dieser Abend ein grandioser Erfolg wird?«
»Ich würde mir gern den Saal ansehen, bevor das Publikum eingelassen wird.«
Cordoni deutete mit großer Geste auf die Marmortreppe.
»Bitte, hier geht's nach oben!«
Obwohl Anna schon früher zwei Abende in der Scuola Grande di San Rocco gegeben hatte, behielt sie auch hier ihr vor Konzerten übliches Ritual bei und machte einen langsamen Rundgang durch den Saal, um sich zu vergewissern, daß alles ihren Vorstellungen entsprach: ihr Platz auf dem Podium, die Aufstellung des Konzertflügels, die Anordnung der Sitzreihen, die Beleuchtung. Auch Gabriel machte einen Rundgang durch den Saal - aber aus ganz anderen Gründen.
Nachdem Anna alles begutachtet hatte, führte Cordoni sie durch eine Tür hinter dem Podium in eine große Galerie mit dunklem Parkett und riesigen Gobelins. An die Galerie schloß sich ein kleiner Salon an, der als Künstlergarderobe dienen würde. Bewacht wurde die Tür des Salons von einem
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