Der Engländer
Findet er die Leiche und versucht, sich aus Zürich abzusetzen…«
Peterson hob die Hände, als sei keine weitere Erklärung notwendig.
»Sie haben also dafür gesorgt, daß ich verhaftet werde, obwohl Sie genau gewußt haben, daß Rolfe nicht auf mein Konto ging.«
»Richtig.«
»Was war mit dem Kriminalbeamten, der mich zuerst vernommen hat?«
»Baer? Baer war ahnungslos. Baer hat Sie nur verdächtigt, einen Schweizer Bankier ermordet zu haben.«
»Warum haben Sie sich die Mühe gemacht, mich verhaften zu lassen? Warum haben Sie mich nicht einfach laufenlassen?«
»Ich wollte Ihnen eine Heidenangst einjagen, damit Sie in Zukunft einen weiten Bogen um die Schweiz machen.«
»Aber damit war die Sache noch nicht zu Ende.«
Peterson schüttelte den Kopf. »Nein, das war leider erst der Anfang.«
Den Rest der Geschichte kannte Gabriel, weil er ihn größtenteils selbst miterlebt hatte. Petersons stakkatoartig vorgetragener Bericht diente nur dazu, seine Überzeugungen zu bestätigen oder einzelne Lücken zu füllen.
Wie Peterson erwartet hatte, zeigte Anna Rolfe den Diebstahl der Geheimsammlung ihres Vaters nicht an. Peterson stellte sie sofort unter Überwachung. Diesen Job übernahmen Leute, die für den Rütlirat arbeiteten, und Angehörige des Schweizer Sicherheitsdienstes, die Peterson treu ergeben waren. Peterson wußte, daß Gabriel eine Woche nach Rolfes Beisetzung in Portugal war, um Anna Rolfe aufzusuchen, und er wußte auch, daß sie gemeinsam nach Zürich gereist und in der Villa Rolfe gewesen waren.
Von diesem Augenblick an wurde auch Gabriel überwacht: in Rom, Paris, London und Lyon. Der Rat heuerte einen Berufskiller an. In Paris liquidierte er Müller und zerstörte seine Galerie. In Lyon ermordete er Emil Jacobi.
»Wer waren die Männer, die mir nachts in der Villa Rolfe aufgelauert haben?«
»Die haben für den Rat gearbeitet. Für Auslandseinsätze haben wir immer einen Profi engagiert.« Peterson machte eine Pause. »Sie haben übrigens beide erschossen. Eine sehr eindrucksvolle Leistung. Und danach haben wir Sie für sechsunddreißig Stunden aus den Augen verloren.«
Wien, dachte Gabriel. Mein Treffen mit Lavon. Meine Konfrontation mit Anna wegen der Vergangenheit ihres Vaters.
Genau wie Gabriel vermutet hatte, nahm Peterson am nächsten Tag im Züricher Bankenviertel ihre Spur wieder auf. Als Anna Rolfes Wagen unweit der deutschen Grenze verlassen aufgefunden wurde, geriet der Rat in Panik und beschloß Notmaßnahmen. Der Berufskiller wurde beauftragt, Gabriel Allon und Anna Rolfe aufzuspüren und bei erster Gelegenheit zu ermorden. Das hätte in Venedig geschehe n sollen…
Petersons Kopf sank auf die Tischplatte, als die Wirkung der injizierten Stimulanzien abklang. Peterson brauchte dringend Schlaf - natürlichen Schlaf, nicht wieder die Art, die aus einer Spritze kam. Gabriel hatte nur noch eine Frage, und er brauchte eine Antwort, bevor Peterson hinausgetragen und mit Handschellen an ein Bett gefesselt werden konnte. Als er sie stellte, hatte Peterson die Arme auf den Tisch gelegt, ließ den Kopf darauf ruhen und hielt die Augen geschlossen.
»Die Gemälde«, wiederholte Gabriel eindringlich leise. »Wo sind die Gemälde jetzt?«
Peterson brachte nur zwei Wörter heraus, bevor er das Bewußtsein verlor.
Otto Gessler.
43 - MALLES VENOSTA, ITALIEN
In dieser Nacht schlief einzig Gerhardt Peterson. Eli Lavon klingelte seine Sekretärin in Wien aus dem Bett und ließ sie um zwei Uhr morgens in sein Büro im jüdischen Viertel fahren und in seinem staubigen Archiv stöbern. Eine Stunde später ratterte das Ergebnis ihrer Nachforschungen aus dem Faxgerät - so mager, daß es auf der Rückseite einer Ansichtskarte von Wien Platz gehabt hätte. Die Abteilung Recherche in Tel Aviv steuerte ein schmales, praktisch wertloses Dossier bei, während Oded auf der Suche nach Cyberklatsch die abgelegensten Winkel des Internets durchforstete.
Otto Gessler war ein Schemen. Kaum mehr als ein Gerücht.
Die Wahrheit über ihn herauszubekommen, sagte Lavon, gleiche dem Versuch, Nebel in einer Flasche einzufangen. Sein Alter ließ sich nur vermuten. Sein Geburtsdatum war ebenso unbekannt wie sein Geburtsort. Es gab keine Photos von ihm. Er lebte nirgends und überall, hatte weder Eltern noch Kinder.
»Wahrscheinlich stirbt er nie«, meinte Lavon und rieb sich verdutzt die Augen. »Wenn's eines Tages mal soweit ist, verschwindet er einfach.«
Über Gesslers geschäftliche Aktivitäten war
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