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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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wiedergutmachen, bevor er vor den großen Bankier im Himmel tritt. Rolfe will reinen Tisch machen. Augustus Rolfe war über Jahrzehnte einer der prominentesten Züricher Bankiers. Will jemand wie er plötzlich reden, kann nichts Gutes dabei herauskommen.«
    »Also haben Sie ihn unter Überwachung gestellt.«
    Peterson nickte.
    »Seit wann ist es in der Schweiz strafbar, Redefreiheit in Anspruch zu nehmen?«
    »Das ist nicht strafbar, aber es wird höchst ungern gesehen - vor allem, wenn dadurch vor aller Welt weniger schmeichelhafte Episoden aus unserer Vergangenheit preisgegeben werden. Über unangenehme Familiengeschichten reden wir Schweizer nicht gern vor Fremden.«
    »Haben Ihre Vorgesetzten gewußt, daß Sie Rolfe überwachen lassen? Hat Ihr Minister in Bern davon gewußt?«
    »Einen ›Fall Rolfe‹ hat es nie offiziell gegeben.«
    Dabei fiel Gabriel ein Satz aus Rolfes Brief ein: In der Schweiz gibt es Leute, die unbedingt wollen, daß die Vergangenheit dort bleibt, wo sie jetzt ist-in Banktresoren begraben -, und die vor nichts zurückschrecken, um ihr Ziel zu erreichen.
    »Wenn die Sache nicht amtlich war, in wessen Auftrag haben Sie Rolfe dann überwachen lassen?«
    Als Peterson einen Augenblick zögerte, fürchtete Gabriel schon, er werde verstummen. Aber dann sagte er: »Sie sind im sogenannten Rütlirat zusammengeschlossen.«
    »Erzählen Sie mir von diesen Leuten.«
    »Lassen Sie mir noch etwas von der dünnen Suppe bringen, dann erzähle ich Ihnen alles, was Sie wissen wollen.«
    Gabriel beschloß, Peterson diesen kleinen Sieg zu gönnen. Er hob eine Hand und schlug mit der Handfläche dreimal an die Wand. Oded steckte seinen Kopf zur Tür herein, als rieche er Rauch. Gabriel murmelte einige Worte Hebräisch. Oded reagierte darauf, indem er die Unterlippe vorschob und mißbilligend die Stirn runzelte.
    »Und Brot«, sagte Peterson, als Oded gehen wollte. »Ich möchte noch etwas Brot zu meiner Suppe.«
    Oded sah Gabriel fragend an.
    »Bring ihm einen Kanten von dem verdammten Brot.«
    Diesmal gab es keine Essenspause, so daß Peterson gezwungen war, seinen Vortrag über den Rütlirat mit dem Löffel in einer Hand und einem Kanten Brot in der anderen zu halten. Er sprach zehn Minuten lang und machte nur manchmal eine kurze Pause,

    um einen Löffel Suppe zu schlürfen oder einen Bissen Brot zu nehmen. Die Entstehung des Rütlirats, seine Ideale und Ziele, die Macht seiner Mitglieder - alle diese Themen behandelte Peterson ziemlich ins Detail gehend.
    Als er fertig war, fragte Gabriel ihn: »Sind Sie Mitglied?«
    Diese Frage schien Peterson zu amüsieren. »Ich? Der Sohn eines kleinen Lehrers aus dem Berner Oberland…«, er tippte mit dem Brot an seine Brust, um zu verdeutlichen, von wem er sprach, »…ein Mitglied des Rütlirats? Nein, Gabriel, ich bin kein Mitglied des Rats, ich bin nur einer seiner vielen treuen Diener. Das sind wir Schweizer alle - Diener. Diener der Ausländer, die ihr Geld auf unseren Banken anlegen. Diener der herrschenden Oligarchie. Diener.«
    »Welche Dienste stellen Sie zur Verfügung?«
    »Sicherheit und Informationen.«
    »Und was bekommen Sie dafür?«
    »Geld und Karrierechancen.«
    »Sie haben dem Rat also berichtet, was Sie in bezug auf Rolfe erfahren hatten?«
    »Richtig. Und der Rat hat mir mitgeteilt, was er in seiner Villa versteckt hielt.«
    »Eine Sammlung von Gemälden, deren Erwerb zu Spottpreisen ihm die Nazis zum Dank für Bankdienstleistungen während des Kriegs ermöglicht hatten.«
    Peterson nickte kaum merklich. »Herr Rolfe hat eine wertvolle Kunstsammlung und eine kontroverse Geschichte unter Verschluß gehalten - eine aus der Sicht des Rats höchst besorgniserregende Kombination.«
    »Welche Weisungen hat der Rat Ihnen daraufhin erteilt?«
    »Die Überwachung zu verstärken, um sicherzustellen, daß Herr Rolfe in den letzten Monaten seines Lebens keine Dummheiten macht. Aber es gab beunruhigende Signale. Rolfe empfing in seiner Bank einen Besucher einen Repräsentanten einer international tätigen jüdischen Vereinigung, die bei der Suche nach ›nachrichtenlosen‹ Bankkonten von Holocaust-Opfern aktiv ist.«
    Die Nonchalance, mit der Peterson das sagte, war Gabriel sehr zuwider.
    »Dann fingen wir eine Serie von Faxen ab. Rolfe schien im Begriff zu sein, einen Gemälderestaurator zu engagieren. Ich stellte mir eine sehr einfache Frage: Weshalb vergeudet ein Todkranker seine Zeit damit, seine Gemälde restaurieren zu lassen? Meiner Erfahrung nach

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