Der Engländer
nur wenig bekannt; dafür rankten sich um so mehr Spekulationen um sie.
Allgemein wurde vermutet, er sei mehrheitlich an einer Vielzahl von Privatbanken, Holdinggesellschaften und Großkonzernen beteiligt. Um welche Privatbanken, Holdinggesellschaften und Großkonzerne es sich handelte, wußte kein Mensch, denn Gessler wickelte seine Geschäfte grundsätzlich über Strohmänner und anonyme Offshorefirmen ab. Schloß Gessler einen Deal, hinterließ er keine physischen Spuren - keine Fingerabdrücke, keine Fußabdrücke, keine DNS -, und seine Bücher waren dichter versiegelt als ein Sarkophag.
Im Lauf der Jahre war sein Name mehrfach im Zusammenhang mit Geldwäsche und weiteren zweifelhaften Handelspraktiken genannt worden. Otto Gessler, so wurde kolportiert, habe die Vorräte auf Rohstoffmärkten aufgekauft, Diktatoren Kanonen und Butter verkauft, ohne sich um international verhängte Sanktionen zu scheren, und Gewinne aus dem Drogenhandel in ehrbaren Immobilienbesitz umgewandelt.
Aber trotz intensiver Ermittlungen hatten die Strafverfolgungs-behörden dieser Welt Gessler nie zu fassen bekommen. Dank einer Legion von Anwälten, die in New York, London und Zürich für ihn arbeiteten, hatte Otto Gessler nie einen Rappen Geldstrafe zahlen müssen und keinen einzigen Tag hinter Gittern verbracht.
Oded entdeckte jedoch eine interessante Anekdote, die in einem hochspekulativen US-Magazinprofil versteckt war.
Einige Jahre nach Kriegsende hatte Gessler eine Schweizer Firma aufgekauft, die Waffen für die Wehrmacht hergestellt hatte. In einem Lagerhaus außerhalb von Luzern hatte er fünftausend Geschütze entdeckt, die nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs in der Schweiz zurückgeblieben waren. Da Gessler keine unverkäuflichen Lagerbestände in seinen Büchern duldete, machte er sich auf die Suche nach einem Käufer und fand ihn in einem rebellischen Winkel Asiens. Die zu Ladenhütern gewordenen Geschütze halfen mit, ein Land vom Joch einer Kolonialherrschaft zu befreien, und Gessler verdoppelte den Gewinn, den er in Berlin erzielt hätte.
Als die Sonne hinter den Zypressen aufging, die den Garten des Landhauses umgaben, förderte Lavon wenigstens einen positiven Charakterzug Otto Gesslers zutage: Gessler schien jedes Jahr viele Millionen Dollar für medizinische Forschung zu spenden.
»Gegen welche Krankheit?« fragte Gabriel.
»Raffsucht?« schlug Oded vor, aber Lavon schüttelte verwundert den Kopf. »Darüber steht hier nichts. Der alte Hundesohn verschenkt jedes Jahr Millionen von Dollar, aber sogar das hält er geheim. Der ganze Mann ist ein Rätsel. Otto Gessler verkörpert geradezu die Schweiz.«
Gerhardt Peterson schlief bis zehn Uhr durch. Gabriel ließ ihn ein Bad nehmen, nach dem er sich unter Aufsicht rasieren durfte, und seine inzwischen von Eli Lavon gewaschenen und gebügelten Sachen anziehen, die er bei seiner Entführung getragen hatte. Da Gabriel glaubte, die frische Gebirgsluft werde Petersons Aussehen guttun, machten sie nach dem Frühstück einen Spaziergang über die Hügel in der Umgebung des Hauses.
Der Schweizer war einen Kopf größer und besser angezogen als seine Begleiter, so daß es aussah, als sei er der Grundbesitzer, der einer kleinen Gruppe von Tagelöhnern Anweisungen erteilte.
Peterson bemühte sich, ihr skizzenhaftes Porträt von Otto Gessler zu vervollständigen, aber dabei stellte sich rasch heraus, daß er kaum mehr wußte als sie. Er beschrieb ihnen die genaue Lage von Gesslers Chalet, schilderte die Sicherheits-vorkehrungen und erzählte, wie seine Gespräche mit Gessler stattgefunden hatten.
»Sie haben sein Gesicht also noch nie gesehen?« fragte Oded.
Peterson schüttelte den Kopf und sah weg. Er haßte Oded wegen der Eiswassergüsse im Keller und weigerte sich, ihn jetzt anzusehen.
»Sie werden mich zu ihm bringen«, sagte Gabriel. »Und Sie werden mir helfen, die Gemälde zurückzubekommen.«
Peterson lächelte - das kalte, blutleere Lächeln, das Gabriel nach seiner Verhaftung in Zürich bei ihm gesehen hatte. »Otto Gesslers Chalet gleicht einer Festung. Sie können nicht einfach reingehen und ihn unter Druck setzen.«
»Ich will ihn nicht unter Druck setzen.«
»Was haben Sie sonst vor?«
»Ich will Gessler einen Deal anbieten. Das ist die einzige Sprache, die er versteht. Er gibt die Gemälde zurück und erhält dafür einen ansehnlichen Finderlohn und mein Versprechen, daß seine Rolle in dieser Sache niemals publik gemacht wird.«
»Otto
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